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: HELMUT HÖGE über Touristen & Terroristen

Gemeinsames und Trennendes

Touristen treten meist offen und in Rudeln auf, Terroristen operieren verdeckt und nicht selten als Einzelne (wie z. B. der Hitlerattentäter vom 20. Juli, Stauffenberg). Der Tourismus legitimiert nahezu sämtliche Verschönerungsmaßnahmen einer Gegend, während der Terrorismus die staatlichen Verfolgungsorgane legitimiert: Wenn es ihn nicht gibt, müssen sie ihn sogar erfinden (so wie z. B. der KGB 1934 in Moskau die „Organisation Hitlerjugend“). Gemeinsam ist Touris und Terros, dass sie vorsichtig vorgehen, sich gerne an belebten Orten aufhalten und oft, scheinbar unmotiviert, Busse und U-Bahnen wechseln: erstere jedoch aus Unkenntnis, letztere als Vorsichtsmaßnahme.

In einem Vortrag über Touristen führte der Künstler Andreas Seltzer einmal aus, dass man nur um sie wirbt, um sie auszuplündern – entweder durch überteuerte Preise und Beschiss oder durch Überfälle, was bis zum Beischlafdiebstahl unter Verwendung von Knock-out-Tropfen geht. Grad neulich passierte es uns, als wir aus dem vornehmen Kensington-Hilton in London traten und uns an die Bushaltestelle stellten, dass ein arabisch radebrechender Junge eine Auskunft verlangte, während ein wie ein Hotelangestellter aussehender Mann einer alten Frau den Fahrplan erklärte. Als wir uns umdrehten, waren alle drei verschwunden – und mit ihnen unser Labtop für 2.500 Euro. Die Folge von solchen Coups ist: Permanent steigen die Reisegepäckversicherungs-Policen und das Misstrauen der Versicherungen wie auch der Touristen. Pleite waren wir am Ende auch noch. So was kann sich bis zur Inländerfeindlichkeit steigern.

In unserem Fall begriffen wir die englischen Trickdiebe schon fast als Terroristen, denn für das Hotel hatten wir nichts bezahlt und der Labtop war nur geliehen: Sie hatten sich also gründlich in uns geirrt! Zudem sind die Terroristen, nach Ansicht des Krisenforschers Herfried Münkler, sowieso mehr und mehr zu wirtschaftskriminellen Handlungen gezwungen – was sie ihrerseits ebenfalls immer misstrauischer macht, da sie sich so nurmehr scheinbar wie Fische im Wasser bewegen. All das nähert sie denn auch uns, den Touristen, an, die wir jedoch zuletzt lachten: Denn das Labtop war uns kurz zuvor runtergefallen und kaputtgegangen. Der Hehler wird ihnen höchstens drei Pfund dafür gegeben haben (5 Euro). Vollends terroristisch wird der Tourist schließlich umgekehrt da, wo er durch seine schiere Anwesenheit Kneipen-Soziotope zerstört und ganze Viertel zum Umkippen bringt, die er danach gemeinerweise meidet wie die Pest.

In manchen Gegenden nehmen deswegen die Terroristen besonders gerne Touristen (wie die Wallerts z. B.) als Geiseln. Und so wie es Reisegruppen gibt, die jahrzehntelang immer zusammen Urlaub machen, gibt es auch Terrorgruppen, die weder Verluste (Abgänge) haben noch neue Mitglieder aufnehmen – lange Zeit galt dies z. B. für die laut Spiegel „dienstälteste Guerilla Europas“: die kleine griechische „Revolutionäre Organisation 17. November“. Diese Gruppe wurde jedoch auch immer paranoischer – und erschoss zuletzt ausgerechnet den Junta-Widerständler Bakoyannis.

Übrigens haben diese Terroristen die langjährigen Fahndungsmisserfolge der staatlichen Organe auch und vor allem den Touristen zu verdanken, die man mit Rasterfahndungen, Straßensperren und Razzien nicht grob griechenlandmüde machen wollte. Ähnliche Verhältnisse haben wir jetzt auch im Urlaubsland Mecklenburg-Vorpommern, wo man nicht nur die bundesweit intelligentesten Polizisten beschäftigt. Sie sind inzwischen auch noch so höflich-weltgewandt, dass sie selbst betrunken Auto fahrenden Touristen den Weg zeigen, weil sie es vor allem auf deren Feinde – terroristische Neonazis und ähnliche Fischköppe – abgesehen haben, sich also eher als Touristenschützer begreifen. Vielleicht kann man es so sagen: Bei den Touristen und den Terroristen berühren sich nicht oft, aber immer öfter die Extreme.