Noch fehlt zur Kompetenz die Krawatte

Harald Wolf wird im rot-roten Berliner Senat Nachfolger von Gregor Gysi. Der Neue kommt aus dem Westen

Die erste Reaktion der Berliner Wirtschaft auf den neuen, für sie zuständigen Senator, war deutlich: „Hat der Mann überhaupt eine Krawatte?“, kommentierte Peter Dussmann, der sein Geld mit schlecht bezahlten Putzkolonnen und einem Kulturkaufhaus in Berlin verdient. Als der Unternehmer den Stab über den Wirtschaftssenator in spe brach, war dieser nicht einmal nominiert. Erst am Montagabend trafen sich die Gremien der PDS, um sich endgültig auf Harald Wolfs Wechsel aus dem Fraktionsvorsitz in den rot-roten Senat zu verständigen.

Dass Wolf sich um den Senatsposten gerissen hat, kann man nicht behaupten. Schon als SPD und PDS im Januar die erste rot-rote Regierung in Berlin beschlossen, stand er bei allen Beobachtern ganz oben auf der Kabinettsliste. Wolf hat die PDS seit Jahren zielstrebig in die Regierung gelotst – und blieb dann lieber Fraktionsvorsitzender. Die Älteren in Berlin erlebten ein Déjà-vu. Schon 1989 hatte ebendieser Wolf eine heftig angefeindete, linke Koalition mit der SPD vereinbart: Damals trug Wolf noch Vollbart und wirkte für die grüne Alternative Liste.

Wolfs politische Sozialisation ist untypisch für die Berliner PDS, die noch immer von den alten Funktionseliten aus der DDR geprägt ist. Wolf hingegen ist ein klassischer Westlinker: 1956 in der hessischen Provinz geboren, brachte ihn der Protest gegen den Vietnamkrieg und ein Philosophie-, Sozialwissenschafts- und Politologiestudium zum politischen Sektierertum der frühen 80er-Jahre. Vier Jahre arbeitete er in Jan Philipp Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung. Nach 1990 wechselte er von den Grünen zur PDS, die er zur „gesamtdeutschen sozialistischen Bürgerrechtspartei“ umbauen wollte.

Im Abgeordnetenhaus entwickelte sich Wolf zum Finanzexperten: Während Politiker von CDU und SPD mit der Berliner Bankgesellschaft die größte steuerfinanzierte Pleite der Nachkriegsgeschichte bastelten, analysierte Wolf die strukturellen Defizite des Landeshaushaltes. Viele wünschen ihn eher im Finanz- als im Wirtschaftsressort. Dies zu übernehmen, drängten ihn die Genossen nun drei Tage lang: Nur ihm trauen sie zu, sich im Wowereit-Senat nicht unterbuttern zu lassen. Ist er aber geeignet für seinen neuen Job? Eine Krawatte wird sich der Träger offener Kragen sicher besorgen, schwieriger wird es mit dem nötigen Optimismus. Die kühnen Pläne der Wirtschaftskapitäne liegen Wolf weniger als die trockene Analyse. Ein Wirtschaftssenator muss positive Stimmung verbreiten – nicht gerade Wolfs Stärke. Als vor zwei Wochen ein fröhliches, linkes Völkchen die Profiteure der Bankpleite attackierte und die Sparpolitik in Frage stellte, kanzelte Wolf dies als „Form der Realitätsverweigerung“ ab.

Für die PDS ist das Berliner Regierungsbündnis mit der SPD von kaum zu unterschätzender Wichtigkeit: Wer in der ehemaligen Frontstadt Westberlin akzeptiert wird, den wird man auch in der Alt-BRD hinnehmen und vielleicht sogar einmal wählen. Gysis Flucht ist ein Rückschlag für diese Pläne, den langen Weg nach Westen geht die Partei aber unumkehrbar: Wenn Wolf Ende August vereidigt wird, sitzt mit Kultursenator Thomas Flierl (PDS) nur noch ein einziger Ostdeutscher im rot-roten Senat. Weniger Ostrepräsentanz gab es in Berlin seit 1990 nicht mehr.

ROBIN ALEXANDER