„Mit einer Kanone auf Spatzen geschossen“

Wer zu einem Thema alle Fakten kennt, muss auch vollständig berichten, sagt Presserechtsexperte Benno H. Pöppelmann vom Deutschen Journalistenverband. Sonst entstehe ein verzerrtes Bild. Die Anzeige Münteferings hält er trotzdem für überzogen, neue Gesetze für unnötig

taz: So viel Solidarität mit Bild wie im Moment gab es nie. Die Journalistenverbände und fast alle Kollegen, auch von eher linksliberalen Blättern, nehmen Bild in Schutz. Woran liegt das?

Benno Pöppelmann: Es liegt daran, dass gegen die Bild-Zeitung Strafanzeige erstattet wurde und dass Forderungen aus der SPD erhoben wurden, das Presserecht zu ändern. Das wird von denen, die jetzt Solidarität üben, als völlig überzogen und unberechtigt angesehen.

Teilen Sie diese Meinung?

Ja. Die SPD, allen voran ihr Generalsekretär Müntefering, hat hier mit einer Kanone auf Spatzen geschossen.

Wirklich? Immerhin wirft Müntefering der Bild -Zeitung vor, gegen den Datenschutz verstoßen und Informationen illegal beschafft zu haben. Müssen sich Politiker das gefallen lassen?

Das müssen sie, wenn das, was berichtet wird, der Wahrheit entspricht. Es darf nicht vergessen werden, dass die Bild-Zeitung über Vorgänge aus dem politischen Raum berichtet hat, die tatsächlich passiert sind. Zumindest in einigen Fällen, die aufgegriffen wurden, zum Beispiel im Fall Özdemir oder im Fall Gysi, stimmten die Tatsachen, über die Bild berichtet hat, ganz unbestritten.

Aber wie weit dürfen Journalisten bei der Recherche gehen, um diese Tatsachen ans Licht zu bringen?

Natürlich dürfen Journalisten auch verdeckt recherchieren – insbesondere dann, wenn die Informationen von besonderem öffentlichen Interesse sind. Es gibt für mich keinen Zweifel, dass ein solches Interesse besteht, wenn es darum geht, ob Abgeordnete Regeln einhalten oder sich bereichern. Dass man dabei Informantenmaterial verwendet, ist doch nichts Ungewöhnliches. Im Übrigen hatte die SPD dagegen auch nichts einzuwenden, als es um die Aufdeckung von CDU-Affären ging.

Macht es einen Unterschied, ob die Informationen bezahlt werden oder nicht – wie es Bild gestern behauptete?

Nein, das macht keinen Unterschied. Die bezahlte Information ist, wenn sie denn stimmt und wenn sie von besonderem öffentlichen Interesse ist, genauso gut wie die nicht bezahlte.

Sie sprechen jetzt viel von öffentlichem Interesse und verteidigen die Recherchemethoden der Bild -Zeitung. Vor wenigen Tagen noch hat der Deutsche Journalistenverband gefordert, der Presserat müsse gegen Bild ermitteln. Gilt das alles nicht mehr?

Doch, natürlich. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung über die Bonusmeilen-Affäre den Eindruck erweckt hat, dass hier nur scheibchenweise berichtet wurde. Dass eine gezielte und einseitige Auswahl getroffen wurde. Das legte den Verdacht nahe, dass die Bild-Zeitung die journalistischen Ethikregeln nicht befolgt hat. Und dieser Verdacht bleibt bis zum Beweis des Gegenteils bestehen.

Gehört nicht zur journalistischen Freiheit auch die freie Auswahl der Themen und die freie Wahl des Zeitpunkts, was man wann berichtet?

Mit Sicherheit ja. Aber wenn man zu einem bestimmten Thema – in diesem Fall die Bonusmeilen – alle Fakten zusammenhat, muss auch vollständig berichtet werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass ein verzerrtes Bild entsteht.

Gehen Sie davon aus, dass bei den Berichten anderer Zeitungen über den CDU-Spendenskandal oder die Kirch-Krise immer alle Informationen, die man an dem jeweiligen Tag hatte, komplett wiedergegeben wurden?

Ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln. Bei der Bild-Zeitung liegt der Fall anders, weil sie Anfang letzter Woche selbst angedeutet hat, sie habe noch mehr Bonusmeilen-Sünder in der Hinterhand. Die Erklärung, dass sie erst noch einige Politiker befragen musste, dass sie noch auf Antworten warten musste, hat sie erst später geliefert. Wenn das so stimmt, ist es in Ordnung.

Ist es auch in Ordnung, wenn die Bild- Zeitung Fotos von Jürgen Trittins Lebensgefährtin veröffentlicht?

Das ist einer der Vorwürfe, die noch geklärt werden müssen. Das sollte der Presserat in aller Ruhe tun – und zwar völlig unabhängig von dem Wahlkampfgetöse, das Herr Müntefering jetzt veranstaltet. Wenn die Veröffentlichung dieser Fotos gegen den Willen von Trittins Freundin geschehen ist, wäre dies eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte am eigenen Bild. Auch andere Aspekte der Berichterstattung über Trittin legen den Verdacht nahe, dass hier eine Kampagne gegen ihn gefahren wurde. Wenn es stimmt, dass dieselben Fakten bei der CDU-Chefin Angela Merkel als vorbildlich und bei Herrn Trittin als dubios bezeichnet wurden, ist das eine Kampagne. Wenn es stimmt, dass Bild Antworten von Trittin unterschlagen hat, ist das eine unseriöse Berichterstattung.

Und dagegen sollen sich Politiker nicht wehren dürfen? Reicht es, wenn der Presserat eine Rüge erteilt?

Man muss jedenfalls keine Gesetze ändern. Es gibt genug Instrumente, sich zu wehren. Das sind sehr scharfe Schwerter: von der Gegendarstellung bis zu Widerruf oder Schmerzensgeld.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF