Behinderte behindern

Bezirksämter wollen weiter sparen: Jede zweite Stelle bei den Beratungsstellen für Körperbehinderte soll wegfallen. Verbände und Gewerkschaft ver.di protestieren, die Behörden weichen aus: „Noch ist nichts beschlossen.“

von SANDRA WILSDORF

„Wer will, aber nicht kann, dem wird geholfen.“ Das ist das politische Glaubensbekenntnis von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU), und damit hat sie bisher den Behindertenbereich von Einsparungen verschont. Das erledigen dafür jetzt andere: Der Gewerkschaft ver.di liegt ein internes Papier vor, demzufolge in den kommenden zwei Jahren in den Bezirksämtern acht der 16 Stellen zur Beratung Körperbehinderter gestrichen werden sollen. „Ich finde diese Planungen unerträglich. Es ist ein Armutszeugnis für unsere Stadt, in Bereichen zu sparen, in denen die Menschen Hilfe am nötigsten haben“, empört sich Sieglinde Friess von ver.di.

Die Gesundheitsämter der Bezirke müssen – so hat es der Senat beschlossen – 450.000 Euro jährlich einsparen. Wo sie die hernehmen, dürfen und müssen sie sich selber überlegen.

Inge Jofinow wüsste nicht, was sie ohne die Beratungsstellen getan hätte. Die zweite Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl. Sie lernte einen Mann kennen, und der hielt seine Alkoholprobleme bis zur Hochzeit vor ihr geheim. Danach bedrohte er sie. In ihrer Not wandte sie sich an die Beratungsstelle für Körperbehinderte in ihrem Bezirk. „Die haben mich in einer Reha-Einrichtung und dann in einem Pflegeheim untergebracht, bis es für mich eine neue rollstuhlgerechte Wohnung gab.“

Sabine Wülbern-Blaich vom Personalrat des Bezirksamtes Altona fürchtet: „Die Kollegen werden die Anforderungen nicht mehr erfüllen können, die sie per Gesetz haben.“ Und weil mit acht Stellen die sieben Bezirksämter nicht durchgehend zu besetzen sind, ist eine Konzentration der Beratung auf zwei bis drei Ämter im Gespräch.

Die Gesundheitsbehörde weiß von nichts, die anderen weichen aus. Es gebe eben die Sparauflage, und noch sei gar nichts beschlossen, heißt es aus verschiedenen Bezirksämtern und auch von Kai Nitschke, Pressesprecher des Senators für Bezirksangelegenheiten Roger Kusch.

Kersten Albers, Verwaltungschef des Bezirksamts Altona, deutet an, dass man überprüfen müsste, inwieweit die Einsparungen zu rechtfertigen sind, weil sich das Angebot erweitert habe. Beispielsweise gäbe es nun auch entsprechende Beratungen der Krankenkassen. Die kennt Gerlef Gleiss gut, als Kunde und als Experte.

Seit zwölf Jahren berät er behinderte Menschen bei „Autonom Leben“. Zu den Servicestellen „schicke ich guten Gewissens niemanden hin“, sagt Gleiss. Denn dort säßen Versicherungsfachangestellte, die sich ihr Wissen in einem Crashkurs angeeignet hätten, aber „von Eingliederungshilfe und Pflege keine Ahnung“ hätten. Für ihn sind die Beratungsstellen in den Bezirken auch deshalb so wichtig, weil sie im Sinne des behinderten Menschen unparteiisch beraten: „Das Sozialamt ist dazu zwar auch verpflichtet, aber die haben doch nur ihre Kosten im Kopf.“

Auch das Urteil der bezirklichen Berater ist gefragt: Will beispielsweise jemand von einer stationären Einrichtung in eine eigene Wohnung ziehen, zahlt das Sozialamt Möbel und Umbauten erst dann, wenn die Berater das per Gutachten befürworten. „Das dauert jetzt schon oft Monate“, sagt Christa Holm, Geschäftsführerin von „Leben mit Behinderung“. Werde die Häfte der Stellen abgebaut, sei das ein Abschied von dem in Hamburg lange gepflegten Grundsatz „ambulant vor stationär“. Dann werden wieder mehr Menschen in Einrichtungen leben müssen anstatt in ihrer eigenen Wohnung.

Am kommenden Montag sollen die Bezirke der Finanzbehörde ihre Sparideen vorlegen. Sind die Kürzungen bei den Beratungsstellen dann nicht vom Tisch, kündigt ver.di für den 16. August schon mal eine Demo an. Montag kommt auch Sozialsenatorin Schnieber-Jastram zurück aus dem Urlaub. Ihre Sprecherin Anika Wichert verspricht, „dass sie sich informieren wird“.