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: Monika Rincks gesammelte Sprach-Trouvaillen

Wo die Begriffe entgleiten

Im Zeitalter des Grünen Punktes ist auch die Sprache zum Sekundärrohstoff geworden: Resteverwerter durchforsten den medialen Verbalschrott auf der Suche nach dem Raab der Woche oder dem Unwort des Jahres. Monika Rincks „Begriffsstudio“ dagegen hat sich der poetischen Seite des alltäglichen Sprachmülls verschrieben.

Mitte der Neunzigerjahre startete die Berliner Nachwuchsautorin ein eigenwilliges Mail-Art-Projekt: Abonnenten bekamen per elektronische Post jeden Monat eine Anzahl von skurilen Sprach-Trouvaillen zugeschickt. Mittlerweile ist die Sammlung der Jahre 1996–2001 als Buchversion in der „Edition Sutstein“ erschienen.

Rincks „Begriffsstudio“ ist das Logbuch einer empfindsamen Reise durch die Wortlandschaft der Jahrtausendwende. Ob unterwegs zwischen Provence und Provinz, angesichts der Wortkaskaden im Uni-Hörsaal oder vor der blubbernden Mattscheibe: die Autorin hat akribisch notiert, was der Kommunikationsalltag an Stilblüten, Missverständnissen und hinkenden Vergleichen liefert. Der Leser begibt sich in die „faszinierende Welt der Schablonen“, trifft „Prinzessin Eurotrash“ und endet als „educated mehrfachdrecksau“ beim „Themenabend Kieferbruch“. Die Genese mancher Begriffe veranschaulicht ein angehängter Kommentar: „Mädchenpensionat, sagte A. an Bord eines Motorschiffes auf dem Wannsee auf ein Gebäude am Ufer deutend, Hähnchenpensionat machte der Wind daraus.“ Wo die Begriffe entgleiten, formt sich an der Grenzfläche zwischen Tiefsinn und grobem Unfug die Poesie des Alltags.

Anders als etwa Autoren der Neuen Frankfurter Schule, die sich auf das Dummdeutsch der Fußballreporter gestürzt haben, begreift Rinck die Sprache überhaupt als eine Art Mannschaftssport, der immer wieder neue Eigentore beschert. Das kann auch der „große Schweiger zwischen den Pfosten“, Oliver Kahn, nicht verhindern. Dabei entstehen mitunter Begriffsbilder, die man nie zu denken wagte: „Gehirne möbliert mit niedrigen Tischen“, die „Mythopoesis des Spatens“ oder etwa „Chicken Döner Justizia 2000“. Man fühlt sich an barocke Emblemata erinnert, jene absurden Chiffren, die abstrakte Begriffe mit konkreten Figuren zu fassen versuchten.

Mit fortschreitender Lektüre stellen sich unwillkürlich Verbindungen zwischen all den verbeulten Sprachhülsen her: Wie zum Beispiel soll man sich den „Weltgeist on Wheels“ vorstellen? Führt er uns gar in das „Jerusalem der blitzblanken Küche“? Die „Eisdiele des Schamanismus“ dagegen möchte man dann doch lieber nicht näher kennen lernen. Rinck kommentiert den besonderen Reiz solch rhetorischer Absacker mit einem blumigen Zwischenruf: „Die dunklen wolkigen durchschimmerten Begriffe, die der Weltweise von allen Empfindungen verlangt, müssen langsam über die Seele ziehen oder gänzlich stehen.“

Alle Wolken schon vorübergezogen? Dann sollte man als besonders weltweiser Zeitgenosse unter www.begriffsstudio.de die aktuellen Begriffslisten abonnieren.

ANSGAR WARNER

Monika Rinck: „Begriffsstudio“. Edition Sutstein, Berlin 2001, 160 S., 14 €