Der dritte Mann im Trio do Brazil

Luizão, Herthas jüngster Brasilien-Import und Ronaldo-Ersatzmann, macht sich fit für den Bundesliga-Saisonauftakt. Am Freitag geht’s los in Dortmund, doch der Weltmeister fühlt sich noch nicht so richtig stark. Aber alle sind schon mal begeistert

Es zieht ihn vors Tor wie Eisenspäne zum Magneten. Er lauert, wartet auf das Leder.

von MARKUS VÖLKER

„Lui, gut Junge“, ruft Huub Stevens und gibt Luiz Carlos Goulart, kurz Luizão, einen Klapps auf den Hinterkopf. Der Trainer von Hertha BSC Berlin hat Grund zur Freude. Luizão fliegt durch die Luft, sein rechter Fuß schlägt an den Ball – Treffer. „Super Lui“, akklamiert Stevens. Während des Schusstrainings ist der brasilianische Stürmer in seinem Element. Er schießt mit links und rechts gleichermaßen stark, hechtet in die Flanken, lupft den Ball gefühlvoll über den Torwart. Das übrige Trainingspensum absolviert er vergleichsweise schleppend. Ein Gespräch unter Herthas Brasilianern stoppt Stevens deshalb mit den Worten: „Kommt Jungs, nicht quatschen, ich will Samba, Samba, tak-tak-tak.“

Seine Form stimme noch nicht ganz, sagt der 26-Jährige nach dem Training. Allenfalls 60 Prozent seines Leistungsvermögens erreiche er. Ein Einsatz im ersten Bundesligaspiel der Saison am Freitag gegen Borussia Dortmund ist also fraglich. Luizão hofft auf eine Nominierung für die Startelf. „Das wäre eine große Ehre für mich“, sagt der Star, der während der WM zweimal für den noch größeren Star Ronaldo eingewechselt wurde.

„Luizão ist ein Spieler wie Kirsten oder Riedle“, erklärt Rudi Wojtowicz. Im Verein heißt Wojtowicz Rudi McScout. Er ist Herthas Chefspäher. Haupteinsatzgebiet: Brasilien. Der frühere Bundesligaprofi war Luizão mehr als zwei Jahre auf den Versen. Er beobachtete ihn, bastelte Videosequenzen zusammen. Manager Dieter Hoeneß durfte sich dann von den Vorzügen des Strafraumstürmers, im Branchenjargon Knipser genannt, überzeugen. „Er kann alles“, lobt Wojtowicz, „er braucht nur Bälle.“ Es zieht ihn vors Tor wie Eisenspäne zum Magneten. Der Strafraum ist sein Arbeitsplatz. Er lauert. Wartet auf das Leder und gebraucht seinen Instinkt. „Kopfbälle hat er auch super drauf“, fällt Wojtowicz noch ein. Obwohl der Stürmer nur 1,77 Meter groß ist. In seiner für Brasilianer eher geradlinigen Art des Kickens hat Luizão zu Hause in der ersten Liga 64 Tore geschossen. „Er wird hier sehr viel Erfolg haben“, glaubt auch Teamkollege Marcelinho.

Warum kommt ein frisch gebackener brasilianischer Weltmeister nach Berlin? Zu Hertha BSC? Die Gewichte haben sich offenbar verschoben. Angesichts der flatterhaften und von der Wirtschaftskrise arg gebeutelten Ligen des Mittelmeerraums zählt Sicherheit mehr als glamouröse Namen. Hertha konnte Luizão ein sicheres Gehalt versprechen. Er unterschrieb nicht bei Galatasaray Istanbul, Español Barcelona, Lazio Rom oder Reggina Calcio, sondern bezog in der deutschen Hauptstadt Quartier. Sein Vertrag läuft bis 2006. Er soll in diesen vier Jahren annähernd 10 Millionen Euro verdienen. Luizão kam nach einem gerichtlichen Streit mit Corinthians São Paulo ablösefrei nach Berlin. Im Herbst 2001 kostete er noch 15 Millionen Euro.

Dieter Hoeneß leistete die entscheidende Überzeugungsarbeit. Der Manager klapperte mit Luizão die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab, lud ihn ein zu Familie, Kaffee und Kuchen und umsorgte ihn wie ein umsichtiger Herbergsvater. „In seinen Augen habe ich das Vertrauen gelesen“, sagt Luizão über die Hoeneß'schen Verführungskünste. Obendrein hätten ihn die „guten Strukturen“ des Vereins überzeugt und „dass die Tendenz steigend ist. Hertha wird immer besser.“

Zu guter Letzt konnte Hoeneß damit werben, bereits zwei seiner Landsleute in der Mannschaft zu haben. „Einem einzelnen Brasilianer fehlt manchmal in Deutschland die menschliche Wärme und die familiäre Geschlossenheit der Heimat“, weiß Scout Wojtowicz. An Alex Alves, der 2000 als erster Südamerikaner zu Hertha kam, ließ sich der komplizierte Prozess der Eingliederung studieren. Mit Marcelinho, Alves und Luizão haben sich nun drei Landsleute gefunden, die als Offensivtrio dem Gegner das Fürchten lehren wollen. „In der Vorbereitung gegen Inter Mailand hat das ja schon ganz gut geklappt“, sagt Marcelinho.

Luizão wird in der neuen Umgebung nicht lange fremdeln. Er hat Europa als 20-Jähriger in Diensten von Deportivo La Coruña bereits kennen gelernt. Seitdem sei aus ihm ein „fertiger, reifer und professioneller“ Spieler geworden, meint sein brasilianischer Betreuer Nilson Maldaner. Deshalb werde er Luizão auch nicht so lange bemuttern müssen wie Alex Alves. Alves war sieben Monate auf Intensivbetreuung angewiesen, nun veranschlagt Maldaner „nicht mal drei Monate“. Der Weg nach Europa, erklärt er, gerate mehr denn je zum Königsweg für brasilianische Profis. Luizão lässt daheim eine ansehnliche Hacienda zurück, zudem eine Fußballschule mit 300 Kindern. Frau und Tochter sind am vergangenen Samstag in Berlin gelandet. Mit ihnen will der gläubige Spieler („Gott ist für mich alles, ich spreche oft mit ihm“) Vokabeln pauken. „Links“, „rechts“ und „Guten Tag“ kann er schon. Mit der Verabschiedung hapert es noch.

„Juice“, ruft er den Fans am Trainingsplatz zu und geht, wendet sich ab. „Juice?“, fragt sich ein Fan. „Ich glaube, er meinte tschüs.“