Bilanzpolizei nicht vor der Wahl

Bundesregierung prüft die Verschärfung der Finanzaufsicht, um Bilanzbetrug von Aktiengesellschaften vorzubeugen. Neue Kontrollinstanz für Wirtschaftsprüfer in ihren Befugnissen umstritten. Entsprechendes Gesetz in den USA schon verabschiedet

Krisen sind nicht gut, erst recht nicht sieben Wochen vor der Bundestagswahl

von HANNES KOCH

Was in den vergangenen zweieinhalb Jahren passierte, ist keine Lappalie. Die Anleger in den USA haben knapp vier Billionen Dollar verloren – und zwar alleine durch den Wertverlust der 500 wichtigsten Aktiengesellschaften, die im Standard&Poors-Index verzeichnet sind. In Deutschland hat der Börsencrash nicht ganz so viel Geld vernichtet. Aber immerhin: 470 Milliarden Euro büßten Anleger ein, die ihre Erbschaft in DAX-Werte investiert hatten. Die Verluste sind so groß, dass selbst bürgerliche Zeitungen über die „Krise des Kapitalismus“ schreiben.

Krisen sind nicht gut, des Kapitalismus schon gar nicht, erst recht nicht sieben Wochen vor der Bundestagswahl. So streut die Bundesregierung nun Ideen in die Öffentlichkeit, wie der Schindluder, der mit dem Geld der kleinen Leute getrieben wurde, in Zukunft zu verhindern sei.

Die noch recht nebulösen Gedanken könnten – so ist aus dem Finanzministerium von Hans Eichel und dem Justizministerium von Herta Däubler-Gmelin (beide SPD) zu hören – nach der Bundestagswahl zu einem Gesetzentwurf kondensieren. Zentraler Punkt: Eine neue Einrichtung – landläufig „Bilanzpolizei“ genannt – wird gegründet, um die Wirtschaftsprüfer öffentlich zu kontrollieren.

Denn in dieser Branche hakt es nach Ansicht vieler Experten ganz besonders: Die Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen befanden die Bilanz des US-Energiekonzerns Enron für richtig, obwohl sie erstunken und erlogen war. Andersen steht vor dem Exitus, Dutzende Milliarden Pensionsgelder von Enron-Beschäftigten und Aktionären existieren nicht mehr. Auch in Deutschland genießen Wirtschaftsprüfungs-Firmen wie KPMG keinen allzu guten Ruf, seit sie die Bilanzen des Baukonzerns Holzmann und anderer Betriebe angeblich unzureichend prüften.

Wie die Kontrolleinrichtung aussehen könnte, steht noch in den Sternen. Eine Möglichkeit wäre, sie als zusätzliche Abteilung bei der Bundesanstalt für die Aufsicht über die Finanzdienstleistungen anzusiedeln (BaFin). Aber auch eine privatrechtliche Organisation wird offensichtlich diskutiert, die eher als Selbstregulierungs-Instrument der Wirtschaft wirkte.

Nach Aussage von Thomas Weber, Sprecher im Justizministerium, laufe gegenwärtig noch die Abstimmung mit den „Beteiligten“. Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) will nachvollziehbarerweise nur eine möglichst schwache Kontrollinstanz. Die Gegenposition nehmen Experten wie Wirtschaftsprofessor Wolfgang Lück (TU München) ein. Lück fordert, dass die Kontrollstelle auch Strafgelder verhängen soll.

In den USA ist man schon einen Schritt weiter. Dort wird demnächst eine Aufsichtsbehörde für die Buchprüfungsbranche ins Leben gerufen. Parallel schränkt ein Gesetz die Möglichkeiten von Firmen wie Andersen ein, gleichzeitig als Berater und Buchprüfer für die Kunden aufzutreten. Die Verquickung beider Funktionen war ein wesentlicher Grund, warum betrügerische Bilanzen wie bei Enron und dem bankrotten US-Telekomkonzern Worldcom für richtig befunden wurden. Einzelne Experten in Deutschland machen sich inzwischen Gedanken darüber, ob Unternehmensberatung und Buchprüfung nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden sollten.

Hierzulande ist seit längerem die Diskussion im Gange, ob die deutschen Börsen nicht eine ähnlich starke Aufsichtsbehörde brauchen wie die US-Behörde Securities and Exchange Commission (SEC). Jenseits des Atlantiks müssen die Konzerne zum Beispiel viel mehr Informationen öffentlich zugänglich machen als in Deutschland.

Doch die Reform braucht ihre Zeit. Möglicherweise sind der Wertverlust an den Börsen und die „Krise des Kapitalismus“ noch nicht groß genug. Erst 47 Prozent des im Jahr 2000 in die 30 DAX-Firmen investierten Kapitals sind verschwunden oder haben den Besitzer gewechselt. Und auch der Druck der Anleger auf die Bundesregierung hält sich in Grenzen.

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