Wut auf den Nachbarn? Rufen Sie an

Bhv: Der SPD-Sozialdezernent weiß zwar nicht, was sein Telefon gegen Sozialhilfemissbrauch bringt, aber er findet‘s trotzdem gut

Wer glaubt, sein Nachbar lebe von Sozialhilfe, und gleichzeitig steht dort ein BMW vor der Tür, der kann seit dem 16. Juli in Bremerhaven eine Telefon-Nummer wählen: Am anderen Ende schreibt eine Sekretärin im Vorzimmer des Sozialamtsleiters mit.

„Damit zeigen wir, dass wir was gegen den Sozialhilfemissbrauch unternehmen“, sagte der Bremerhavener Sozialdezernent Wilfried Töpfer (SPD).

Solche Anrufe habe es schon immer gegeben. „Ich wollte die nur auf einer Nummer bündeln, damit ich einen Überblick bekomme, wie viele Leute anrufen“, sagt Töpfer. Seit Mitte Juli seien rund 30 Anrufe eingegangen. Das seien mehr als vorher. Allen Hinweisen werde nachgegangen, auch anonym abgegebenen. Damit geht SPD-Mann Töpfer einen Schritt weiter als der Bremer CDU-Sozialexperte Karl Uwe Oppermann, von dem die Idee zum so genannten „Bürgertelefon“ ursprünglich stammt. Er wollte anonymen Tipps nicht nachgehen, um Denunziantentum zu verhindern. Töpfer erklärte, das Sozialamt hätte auch früher schon alle Hinweise geprüft. Ob ein Tipp schon geholfen hat,einen tatsächlichen Missbrauchsfall aufzudecken, konnte Töpfer noch nicht sagen.

Wieviel Geld er durch das „Bürgertelefon“ einzusparen hofft, wollte er ebenfalls nicht sagen. Der Einsatz von derzeit vier, bald fünf Außendienstmitarbeitern des Sozialamtes bringe dem Amt jedenfalls jetzt schon Ersparnisse: Die beurteilen nämlich, ob SozialhilfeempfängerInnen die beantragte Matratze oder der Kleiderschrank wirklich zustehen. Bremerhaven kontrolliert also doppelt. CDU-Oppermann hatte das Telefon für Bremen vorgeschlagen, weil es hier eben keine Sozialamts-Außendienstler gibt.

Die grüne Opposition sieht in der Rufnummer eine „amtliche Aufforderung zur anonymen Denunziation“, die den „sozialen Frieden gefährde“. In Bremerhaven gab es im März 11.903 Sozialhilfeempfänger, davon seien fast die Hälfte Kinder und Jugendliche gewesen, sagte die sozialpolitische Sprecherin, Anke Krein. Der Sozialdezernent solle sich lieber darum kümmern.

Der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) wäre eher dafür, die Verhältnisse umzukehren und ein Telefon zu schaffen, bei dem sich Sozialhilfeberechtigte über das Sozialamt beschweren könnten: Es komme vor, dass „Hilfeberechtigte wochenlang auf einen Bearbeitungstermin warten“. Busch-Geertsema schätzt, dass etwa die Hälfte der Sozialhilfeberechtigten ihre Ansprüche gar nicht ausschöpfen, „weil sie nicht wissen, dass und wie sie Unterstützung beantragen können.“ Ein Info-Telefon, das Menschen über ihre Ansprüche aufklärt, hält Busch-Geertsema für eine gute Idee. Ulrike Bendrat