: Im europäischen Keller
Mit 17 Prozent Arbeitslosen gehört Berlin nicht nur in Deutschland zur Spitze, sondern in ganz Europa. Einzig Sofia steht noch schlechter da als die deutsche Hauptstadt, selbst Bukarest ist besser
von UWE RADA
Was waren das für Zeiten! Kaum war die Mauer gefallen, fürchteten sich Engländer, Franzosen und Polen gleichermaßen vor einem wiedererstarkten Deutschland mit der alten und neuen Hauptstadt Berlin an der Spitze. Nun stellen sie fest: Nicht nur Deutschland ist weit entfernt von der – wirtschaftlichen – Spitze. Seine Hauptstadt ist mit einer Arbeitslosenquote von 17 Prozent sogar im europäischen Keller.
Vergleiche gefällig? Rom, von dem manche behaupten, es läge im italienischen Süden, kommt auf gerade mal 10,5 Prozent Erwerbslose. Auch die europäische Hauptstadt Brüssel hat, trotz vergleichbarer Migrantencommunities, weniger als Berlin, nämlich 13,5 Prozent. Das Gleiche gilt für Paris mit 12 Prozent Arbeitslosen und Madrid mit 11,5 Prozent. In Wien sind sogar nur 8,3, in London 7,3 Prozent arbeitslos.
Noch besser (oder schlechter für Berlin) sieht es in jenen Städten aus, die man einst einmal als das europäische Mezziogiorno bezeichnet hätte. In der portugiesischen Hauptstadt Lissabon beträgt die Arbeitslosigkeit sage und schreibe 3,9 Prozent. Die Stadt profitiert dabei ebenso wie das Land (4,5 Prozent) vom EU-Beitritt und einer boomenden Wirtschaft.
Noch überraschender sind die Zahlen aus Athen. Zwar liegt die griechische Arbeitslosenquote immer noch bei 9,6 Prozent und damit neben der spanischen (13,6 Prozent) am höchsten in der Europäischen Union. In der griechischen Hauptstadt Athen dagegen sind nur 2 Prozent der Bewohner arbeitslos. Auslöser für den Boom sind hier die Olympischen Spiele 2004 und die damit zusammenhängenden Investitionen, die die Quote seit 1997 von 5,9 Prozent kontinuierlich nach unten gesenkt haben.
Im irischen Dublin schließlich, einst ebenfalls Armenhaus Europas, profitiert auch die hauptstädtische Wirtschaft vom irischen Aufschwung. Nach einer Arbeitslosenquote von 7,1 Prozent 1998 sind im vergangenen Jahr nur noch 3,6 Prozent der Dubliner ohne Job gewesen, Tendenz sinkend.
Wenn es schon im ehemals europäischen Armenhaus ständig mit der Beschäftigung bergauf geht, wundert es nicht, dass Berlin auch gegenüber den skandinavischen Ländern eher schlecht abschneidet. In Kopenhagen herrscht mit 4,4 Prozent Erwerbslosigkeit ebenso faktische Vollbeschäftigung wie in Oslo mit 3,7 Prozent.
Einzig die Hauptstädte Stockholm und Helsinki stehen mit knapp unter 10 Prozent beziehungsweise 11 Prozent schlechter da als der EU-Durchschnitt von 7,6 Prozent. Dabei hat im Gegensatz zu Berlin auch die finnische Metropole in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt – noch 1997 betrug der Anteil der Arbeitslosen wie in Berlin 17 Prozent.
Bleibt noch ein Blick in Richtung Osten. Auch im Vergleich dazu sieht die Berliner Lage alles andere als rosig aus. In der polnischen Boomstadt Warschau beträgt die Arbeitslosenquote unter 4 Prozent, in Prag liegt sie bei 3,4 und in Budapest bei 3,6 Prozent. Allen drei Hauptstädten ist damit zu Eigen, dass sie weitaus besser dastehen als der Landesdurchschnitt. Auch das ist in Berlin anders herum.
Trost spendet den Berlinern nur der Vergleich mit dem Balkan. Zwar kann Berlin schon lange nicht mehr mit dem rumänischen Bukarest (12,2 Prozent) mithalten. Doch die bulgarische Hauptstadt Sofia (18 Prozent) haben wir trotz ihres zurückgekehrten Königs immerhin mit einem Vorsprung von sage und schreibe 1 Prozent geschlagen. Und dass wir nicht das Armenhaus Europas sind, beweist schließlich Sarajevo in Bosnien-Herzegowina. Dort suchen 55 Prozent der Bewohner einen Job.
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