Vier Millionen? Muss man akzeptieren!

Florian Gerster, der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit, nennt die hohe Zahl von Arbeitslosen „soziale Wirklichkeit“

BERLIN taz ■ Die Regierung Schröder ist nun fast dort angekommen, wo die Regierung Kohl vor vier Jahren aufgehört hat: Knapp 4,047 Millionen Menschen hatten im Juli keinen Job. Das sind 92.600 mehr als im Juni und sogar 248.300 mehr als vor einem Jahr. Die Erklärung der Bundesanstalt für Arbeit (BA): Die Konjunktur lahmt – und außerdem haben im Juli viele Jugendliche die Schule oder ihre Ausbildung beendet.

Die Arbeitslosenquote betrug insgesamt 9,7 Prozent – ist aber im Osten mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Waren in den alten Bundesländern 2,636 Millionen Menschen oder 7,8 Prozent ohne Arbei, so wurden in den neuen Ländern 1,410 Millionen Erwerbslose verzeichnet – eine Quote von 18 Prozent.

Immer noch fehlen Ausbildungsplätze. Ende Juli waren 96.200 Stellen offen, doch 208.900 Bewerber suchten einen Platz. Der BA-Chef Florian Gerster appellierte daher gestern an die Wirtschaft, zusätzliche Stellen zu schaffen. „Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos.“ Insgesamt wurden knapp 510.000 Ausbildungsplätze gemeldet – das sind 7 Prozent weniger als noch vor einem Jahr.

Gerster rechnet inzwischen nicht damit, dass die durchschnittliche Arbeitslosenzahl im Jahr 2002 unter die Marke von 4 Millionen rutscht: „Ich fürchte, sie liegt darüber.“ Der BA-Chef appellierte daher an die Öffentlichkeit, zirka 4 Millionen Arbeitslosen als „soziale Wirklichkeit“ zu akzeptieren.

Gerster kündigte gestern an, dass seine Behörde einen größeren Bundeszuschuss benötigen wird als bisher eingeplant: Statt der veranschlagten 2 Milliarden Euro meldete er einen Bedarf von etwa 3,5 Milliarden Euro an. So pessimistisch wollte sich das Bundesarbeitsministerium gestern nicht zeigen: Dort geht man weiterhin davon aus, dass der Bundeszuschuss nicht mehr als 2 Milliarden Euro betragen muss.

Die deutsche Arbeitslosigkeit liegt leicht über dem EU-Durchschnitt, wie jüngste Zahlen aus Brüssel für den Monat Juni belegen. Während europaweit 7,7 Prozent ohne Arbeit waren, lag die deutsche Quote bei 8,3 Prozent. (Diese Zahl weicht von deutschen Statistiken leicht ab, weil die EU andere Erhebungsmethoden benutzt.)

Das Statistische Bundesamt legte unterdessen die neueste Zahl der Erwerbstätigen vor, wozu auch die Selbstständigen und Freiberufler zählen. Danach hatten im Mai rund 38,7 Millionen Menschen Arbeit – das sind 221.000 oder 0,6 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

ULRIKE HERRMANN