„Soldaten müssen ihr Selbstbild ändern“

Null Toleranz reicht als Strategie gegen sexuelle Übergriffe beim Bund nicht aus, meint die Soziologin Christine Eifler

taz: Die Bundeswehr meint, sich akribisch auf die Aufnahme von Frauen vorbereitet zu haben. Jetzt scheint ein erster Fall von Vergewaltigung vorzuliegen. Hat die Truppe das Problem Sexualität unterschätzt?

Christine Eifler: Wie man’s nimmt. Schon vor der Öffnung der Truppe für Frauen erwarteten laut Umfrage 83 Prozent der Soldaten, dass „Probleme mit der Sexualität“ zunehmen würden. Aber man fand das „normal“, eine schlichte Parallele zur zivilen Gesellschaft.

Ist es nicht tatsächlich ein normales Problem?

Nein. Man übersieht zum einen, dass Frauen in der Bundeswehr absolut in der Minderheit sind. Zum anderen bilden die Soldaten eine Mehrheit, die sich extrem über Männlichkeit definiert: der starke Mann in Abgrenzung zur schwachen Frau. Die wenigen Frauen können dieses Bild nicht ändern, irritieren es aber durch ihre Anwesenheit. In hierarchischen Organisationen wird sexuelle Gewalt als Hierarchisierungsmittel verwendet, das ist aus der internationalen Forschung bekannt. Die dominante Gruppe der Männer kann also sexuelle Diskriminierung einsetzen, um ihre Machtposition zu bestätigen.

„Null Toleranz“ hat die Bundeswehr bei sexuellen Übergriffen verkündet. Reicht das als Strategie aus?

Nein. Interessanterweise muss nun, durch die Integration von Frauen, ein ganz anderes Thema diskutiert werden, nämlich die Sexualität von Männern. Man muss sich also mit sich selbst beschäftigen. Es gibt Forderungen der UNO und der EU, etwa die Peacekeeping-Einsätze zur Hälfte mit weiblichen Soldaten zu bestücken, damit die Probleme mit sexueller Gewalt bei Auslandseinsätzen aufhören und mit Kriegsopfern, die sexuelle Gewalt erlebten, besser umgegangen werden kann. Sexuelle Gewalt wird plötzlich ernst genommen. Hier wird deutlich, dass die Gender-Indentität der Soldaten einen neuen Stellenwert bekommen hat. Das heißt aber auch, dass das Militär sich mit Sexualität auseinander setzen muss. Muss man Feldbordelle für Soldaten einführen? Was macht man dann mit weiblichen Soldaten?

Die Bundeswehr steht aber auf dem Standpunkt, dass Sex etwas ist, das die Soldaten in der Freizeit machen. Da will sie sich nicht einmischen.

Mit dieser Haltung hat sie aber nun ein Problem. Wenn etwa die Peacekeeper quotiert werden sollen, weil sonst unkontrollierbare Männerhorden unterwegs sind, dann muss sie Sexualität oder Gender in ihr Soldatenbild integrieren. Interessanterweise gibt es seit neuem ja Sensibilisierungskurse für Soldaten, gender trainings. Optimistisch könnte man behaupten, das Selbstbild der Soldaten ändere sich bereits. Eine Bundeswehr-Broschüre zur Integration von Frauen endet mit der Frage: Warum fällt es uns so schwer, Frauen so zu behandeln, wie wir selbst schon immer behandelt werden wollten?

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH