Traditionen vergessen

Vor dem Start in die 40. Bundesligasaison muss der HSV als einziger Evergreen den Ballast längst verstaubter Erfolge abwerfen, um nach oben zu kommen. Erster Flugversuch Sonntag gegen 96

von JÖRG FEYER und OKE GÖTTLICH

Der Hamburger Sport-Verein ist das letztverbliebene Gründungsmitglied der Bundesligageschichte und will es auch bleiben. Nach den sportlichen Talfahrten der vergangenen Jahre möchten die alpenerprobten Österreicher Kurt Jara und Manfred Linzmaier den Dinosaurier wieder auf den Berg bringen. Im gemeinsamen Interview erklären sie, warum der dritthöchste Etat der Liga (61 Millionen Euro) keinen Erfolgsdruck bedeutet und wie der HSV mit Disziplin auf einen einstelligen Tabellenplatz geführt werden soll.

taz hamburg: Herr Jara, Herr Linzmaier, eine Vorbereitung ohne eine Niederlage in 14 Spielen ist doch beängstigend.

Manfred Linzmaier: Im Prinzip schon. Wir waren selbst überrascht, was in einer so frühen Phase spielerisch schon geklappt hat. Der eine oder andere Dämpfer wäre nicht verkehrt gewesen.

Kurt Jara: Ergebnisse in der Vorbereitung sind für mich zweitrangig. Aber die Siege sind auch gut für Ruhe im Umfeld. Innerhalb der Mannschaft steigt so aber die Überzeugung, dass wir richtig trainieren. Außerdem wächst durch diese Erfolge das Selbstvertrauen.

Nicht nur Spieler tuscheln über den UEFA-Cup.

Jara: Ich sehe nur, dass die Mannschaft zusammengewachsen ist und dass sie Disziplin und Ordnung auf dem Platz und außerhalb hat. Das sind die besten Voraussetzungen für den Erfolg. Ob‘s der ganz große wird, hängt von der Stärke des Einzelnen im Kollektiv ab.

Welche Rückschlüsse aus der letzten Saison haben konkret die tägliche Arbeit in der Vorbereitung auf diese Saison bestimmt? Linzmaier: Wir haben zu viele Gegentore bekommen, da mussten wir ansetzen. Vorn haben wir meist unser Tor gemacht. Aber wenn du immer zwei, drei kriegst, kannst nicht punkten. Man muss heute defensiv einfach sehr gut organisiert sein.

Jara: Außerdem ging es darum, eine Einheit und dabei eine neue Hierarchie zu schaffen. Wir mussten den Spielern klar machen, dass Training immer auch Spielvorbereitung ist. Als wir im vergangenen Jahr kamen, bin ich schon ein bisschen erschrocken. Das ist keine Kritik an meinem Vorgänger. Aber ich will eine Mannschaft anders führen, anders auf dem Trainingsplatz sehen. Inzwischen wissen wir, wie einzelne Spieler zu nehmen sind.

Das mit den Gegentoren scheint abgestellt zu sein. Der HSV hat nur 3 in 14 Testspielen kassiert. Sowas riecht aber auch schnell nach Ergebnisfußball, bei dem der Zweck, der Erfolg, auch unschöne Mittel heiligt.

Jara: Die Gefahr an der Aussage „Ich will zu Null spielen“ ist immer die, dass alle denken: Der spielt defensiv. Zu Null heißt für mich einfach: sehr viel Organisation und Disziplin hinten. Das bedeutet nicht, dass man dann nicht offensiv sehr individuell agieren kann. Aber wenn ich 57 Gegentore in einer Saison bekomme wie zuletzt, dann kann ich nicht unter die ersten 6 kommen. Das Ergebnis ist beim Fußball das Wichtigste. Spektakel kann es erst nach dem Erfolg geben. Sonst spielen wir so wie letztes Jahr die letzten zwei Spiele, jeweils 3:4. Und nach sieben Spielen heißt es, na ja es gibt Spektakel, aber der Trainer hat Null Punkte und keine Ahnung.

Und das geht am besten mit der Viererkette, die Sie bereits Ende der vergangenen Saison favorisierten?

Jara: Ja, die Viererkette steht, aber davor kann sich viel verändern. Das hängt davon ab, wie wir selber auftreten wollen, wie der Gegner kommt. Gegen Manchester City z.B. wurde in der Offensive aus dem 4:4:2 ein 4:2:4 bzw ein 4:3:3, wenn sich einer in der Mitte fallen ließ.

Der HSV hat mit 22.500 Karten wieder einen Dauerkartenrekord für die neue Saison geschafft. Beschäftigt Sie sowas?

Jara: Für mich ergibt sich daraus eine Aufgabe. Und es müsste auch für die Spieler Anreiz sein, noch intensiver zu arbeiten. Dieser Vertrauensvorschuss ist sensationell. Der HSV lebt! Und dieses Potenzial muss die Mannschaft mit guten Leistungen weiter fördern. Und bald muss das Stadion dann ausgebaut werden.

Fühlen Sie sich von dem hohen Etat unter Druck gesetzt? Der wird nicht haltbar sein, wenn man nicht international spielt.

Jara: Das hat nichts mit dem Etat zu tun, das will man ja auch persönlich. Ich bin nicht hierhin gekommen, um mit dem HSV irgendwo in der Gegend rumzuspielen. Den Etat hat der Vorstand auszumachen, ich habe zu schauen, dass die Mannschaft Erfolg hat. Ob die teuer oder billig ist, zählt nicht. Wir wollen uns wieder vorne etablieren. Der HSV ist ein Traditionsclub, aber die muss schon zu lange herhalten. Seit dem Europa-Cup-Sieg sind es 20 Jahre, nimmt man die letzten 10, war der HSV gerade viermal in den Top Ten der Liga und das nie in Folge!