berliner szenen Sommerlärm in the City

Lied der Dampframme

Krriieeaah! weckt die Säge im Hinterhof um sechs Uhr dreißig die Anwohner in den drei Häusern, die die Baustelle umgeben. Verkatert schauen ein paar Menschen aus dem Fenster, rupfen an Gardinen und knallen danach selber die nächste halbe Stunde mit Tassen, Tellern und Türen.

Kreuzberg ist ein Ort der schlechten Laune, besonders im Sommer, weil einen in der schulfreien Zeit statt quiekender Kinder die Hausbesitzer mit ihren steuergünstigen Verschönerungsmaßnahmen piesacken. Bereits zwei Monate geht das so: Eine Fassade wird neu verputzt, also muss die Gerüstbaufirma Stahlrohr für Stahlrohr etagenweise hochwuchten und verschrauben. Hui, wie das kracht.

Wenn man dann völlig gerädert zur Arbeit kommt, geht der Bauboom hinter dem taz-Gebäude weiter. Offenbar haben die Investoren nun den unteren Teil der Friedrichstraße entdeckt. Seitdem werden Grundstücke rund um das Landesarbeitsamt durchgepflügt und großflächig ausgebaggert, damit das öde Land für die stur exerzierte Blockbebauung passt. Weil der märkische Boden an vielen Stellen zu sandig ist, um sechs Stockwerke Glas und Stahl zu stemmen, ohne dass sie wegsacken wie der Turm von Pisa, muss er mit Eisenträgern verstrebt und mit Beton aufgespritzt werden wie Pamela Andersons Silikonlippen. Deshalb treiben seit Wochen einen Steinwurf von meinem Schreibtisch entfernt Dampframmen Metall in die Erde. Gerne würde ich mit Steinen zurückwerfen, aber das wären nur Kiesel auf die heiße Hölle des Neubaulärms. Die Kollegin am Nebentisch nimmt den Krach übrigens mit Gelassenheit: „Das gehört zur Großstadt eben dazu“, sagt sie, wenn ich meckere. Sie muss es wissen, sie kommt aus München. HARALD FRICKE