Das Haus der Tausendsassas

Das Hansa Theater ist tot. Es lebe das Hansa Theater. Der Bühnenmeister von früher hat es wieder aufgemacht. Idealismus pur und der Glaube an den Boulevard sind am Werk. Heute ist Premiere

„Mit viel Fantasie schaffen wir alles. Das Boulevardtheater wird niemals sterben“

von WALTRAUD SCHWAB

In jedem Ende steckt ein neuer Anfang. Solche Trostworte, sonst vor allem für Leute mit Liebeskummer gedacht, hat sich André Freyni zu Herzen genommen. Zehn Jahre lang war er der technischer Leiter des Hansa-Theaters in Moabit und vor allem fürs Licht zuständig. Nachdem das Volkstheater dort vor fünf Monaten schloss, weil die Subventionen – 2001 waren es noch 1,8 Millionen Mark – gestrichen wurden, macht er es nun wieder neu auf.

Der Neubeginn ist kein Zuckerlecken. Hängt dem Hansa-Theater doch noch der alte Ruf an. „Zähes, müdes Boulevardtheater“ und „platte, eindimensionale Charakterzeichnung“ sei da gegeben worden. Ein Gutachten – von Christoph Stölzl, damals CDU-Kultursenator, in Auftrag gegeben – bescheinigte es so. Parteiübergreifend wurde daraufhin die Förderung gestrichen.

Freyni, nun neuer Chef des Hauses, Allrounder, Tausendsassa, will trotzdem nicht nur das Publikum davon überzeugen, dass hier ein Phönix aus der Asche steigt, sondern auch Kritiker, Sponsoren und die leere öffentliche Hand. Heute hat die erste Inszenierung, die „Komödie im Dunkeln“, Premiere.

Mit viel Idealismus, ein paar guten Freunden und eigenem Geld ist Freyni den Sommer über zu Werke gegangen. Volkstheater ja, aber nicht platt und dumm, sondern niveauvoll und komisch, soll hier geboten werden. „Die Leute sollen wieder lachen können“, lautet das Credo des 40-Jährigen. Immer wieder wird Befreiung durch Komik beschworen: „Man soll davon angesteckt werden und sich freuen. Es gibt ja heute nicht mehr viel zu lachen mit all der Arbeitslosigkeit, dem Fremdenhass, der Armut.“ Ein Spagat wird beschworen zwischen leichter Muse und „es wird ab und zu auch mal eine rote Fahne draußen hängen“.

Die „Neue Hansa-Theater GmbH“ will noch mehr: Die Moabiter, die sich mit Fug und Recht in der Kulturwüste wähnen, wird im Blick behalten. Untertitelung der Stücke für Gehörlose wird eingeführt, sobald der Beamer da ist. Die Zusammenarbeit mit Blinden wird, wenn möglich, gesucht. Ein freies Opernensemble gehört in Gedanken ebenfalls bereits zum Haus. Pläne über Pläne gibt es, die derzeit vor allem noch als Soll-Sätze brillieren: „Hier soll ein Theater entstehen, das alle Bevölkerungsschichten bedient.“ – „Die Zuschauer sollen bestimmen, ob das Haus eine Berechtigung hat.“ – „Ein Selbstbedienungstheater soll es nicht sein.“

Mit solch hochfliegenden Ideen ins kalte Wasser gesprungen, haben sich die Freischwimmer einen ambitionierten Spielplan für die nächsten Monate gebastelt: fünf Premieren bis Ende Oktober. Darunter Macbeth ohne Worte, wie ein Stummfilm inszeniert. So wird’s ein Stück für alle, werden Sprachgrenzen in einem Babylonia wie Moabit überwunden.

Das, was sein soll, ist nicht das, was sein kann, ist nicht das, was ist. Die Premiere von heute Abend wird zum Wirklichkeitstauglichkeitstest. Die „Komödie im Dunkeln“ des gebürtigen Liverpoolers Peter Shaffer muss beweisen, dass was dran ist an den Plänen. Auf englischen Humor setzen Freyni und sein künstlerischer Leiter Stefan Lehnberg dabei. Eingespielte Lachsalven aus dem Off, der Imperativ des Genusses, sind glücklicherweise nicht zu hören.

Die Inszenierung beginnt im Dunkeln. Denn wenn das Licht auf der Bühne aus ist, ist es im Stück an. Wenn das Licht auf der Bühne an ist, ist es im Stück aus. Dieser Kunstgriff ist das Raffinierteste am Ganzen. So kann die Fantasie anfangen, Funken zu sprüchen. „Blau steht dir wirklich gut. Es betont deine Augen“, ist die Stimme eines Galans zu hören. Der vorweggenommene Anblick der Angebeteten verspricht eine Augenweide zu werden. Sobald das Licht angeht, tritt Ernüchterung ein. Die Verlobte ist eine überzeichnete weibliche Karrikatur à la Rock ’n’ Roll und Brillenschlange.

Die üblichen Slapstick-Verwicklungen werden in dem Stück groß geschrieben. Dreiste, schrullige und doofe Frauen kommunizieren mit autoritären, geschwätzigen und dummen Männern: Der Galan entpuppt sich als ein mittelloser Künstler namens Brindsley Miller, der an einem einzigen Abend seinem Schwiegervater und einem Kunstsammler imponieren und alle privaten und beruflichen Probleme lösen will. Nicht nur ein Kurzschluss, der die Bühne endlich ins Licht setzt, sondern auch unangemeldeter Besuch seiner früheren Geliebten, der verklemmten Nachbarin und des schwulen Nachbarn vereiteln seine Vorhaben. Am Ende stehen alle Protagonisten blöd da.

Für einen Neuanfang ist die Inszenierung wenig spektakulär. Das Echo der vergangenen Hansa-Theater-Zeiten ist unüberhörbar. Sicher, Freyni hat die fast 600 Abonnenten von früher im Blick, die ebenfalls bedient werden sollen. So aber wird Besucherbindung rückwärts gedacht. Darauf angesprochen sagt Lehnberg, der Regisseur: „Man kann das Theater nicht neu erfinden. Eigentlich ist alles schon ausprobiert. Irgendwann findet man nichts mehr komisch. Das ist bei Komödien der Effekt.“ Wenn das Stück ein Flop wird, wird es vom Spielplan genommen, erläutert Freyni. Denn privatwirtschaftlich arbeiten heißt, dass es auch keine langfristigen Verträge für die Schauspieler geben kann.

Vorerst aber siegt der Optimismus der Hand voll Theatermacher. „Ein eingeschworenes Team“, wie Freyni sagt. Schließlich sind bereits Sponsoren an Land gezogen, das Arbeiten macht Spaß, jeder holt das Beste aus sich heraus und mit Artur Brauner, dem das Haus gehört, steckt man in Verhandlungen wegen einer vernünftigen Miete. Freyni hat es schon einmal geschafft, mit Ausdauer an einem Plan festzuhalten. Fünf Jahre lang beharrte er darauf, aus der DDR ausreisen zu dürfen. 1986 war es so weit. Auch für das neue Hansa-Theater hält der Meister der Veranstaltungstechnik an seinen Maximen fest. „ ‚Geht nicht‘ gibt’s nicht. Mit viel Fantasie und Schneegestöber schaffen wir alles. Das Boulevardtheater wird niemals sterben.“

Für Fans des Boulevard: Hansa Theater Berlin, Alt-Moabit 48 in Tiergarten, Tel. 39 90 99 09, 20 Uhr „Komödie im Dunkeln“