„Ah, Dehrmahni, very good“

Was macht den Sommer cool? Teil 6: Deutschland, natürlich. Wegen des Nebels, des eisigen Winds. Und weil es nachts nicht kälter ist als am Tag. Das sagt Muhammad mitten in der jordanischen Wüste

von ARNO FRANK

Was war das eben noch für ein Spaß, mit dem Jeep durch die Dünen zu preschen! Mit flatternden Klamotten im lindernden Fahrtwind immer der saudischen Grenze entgegen, wie weiland Lawrence von Arabien bei seinem Feldzug gegen die Türken. Jetzt aber, nach einer kurzen Pause zum Beinevertreten, springt der Toyota nicht mehr an. Es keucht noch ein Weilchen der Anlasser und gibt ihn dann endgültig auf, seinen Geist. „It is finish“, radebrecht schulterzuckend der Fahrer, „it is empty battery.“ Dann klettert er wortlos auf die Motorhaube und hält Ausschau. Die Aussichten aber sind denkbar schlecht. Wüste, Wüste überall – und kein Tropfen zu trinken, sehen wir mal vom Kühlwasser ab.

Wir stecken also fest. Im Hochsommer. Im Wadi Rum. Und mit dem Hochsommer im Wadi Rum ist das so eine Sache. 45 Grad im spärlichen Schatten gelten als arktische Ausnahme, erst ab 50 Grad aufwärts fühlen sich Jordanier und Jordanierinnen in ihrem Element. Gerade zur Mittagszeit üben sich die Menschen in der hohen Kunst des Dösens, Fächelns und Telefonierens. Hier hat die jordanische Telekom Titanisches geleistet, die Mobilfunkabdeckung im doch arg zerklüfteten Königreich ist besser als am Frankfurter Hauptbahnhof. Offiziell gibt es in Jordanien wohl nur ein einziges Funkloch, und genau dort sind wir gestrandet. Der Fahrer packt das Handy weg und brät sich auf der Motorhaube ein Spiegelei: „No problem! We not alone in desert!“, lässt er seine besorgten Passagiere wissen. In der Ferne flimmert eine Fata Morgana von der Größe des Starnberger Sees.

Jetzt wird erst mal geschwitzt, gebrütet und gebetet. Mit der großen Stille kommen auch die Gedanken: Was machen wir hier eigentlich? Warum verbringen wir den Sommer nicht einfach in Deutschland? Wo ist die Sonnencreme? Und mit welchen Strategien halten sich die Wüstenbewohner diese brüllende Hitze vom Leib?

Des Weges kommt, wie bestellt, ein Reiter vom Volke der Bedu. Erst ist er nur ein Pünktchen, dann teilt er den Starnberger See, und endlich geht sein Kamel ächzend vor unserem Toyota in die Knie. Nach einem verdächtig arabischen Wortwechsel erklärt unser Fahrer, dass dies Muhammad sei. Und dass Muhammad keine Hilfe bringt, sondern Schmuggelware von Saudi-Arabien nach Jordanien: „Motorola, Siemens, Nokia“, erklärt Muhammad strahlend und schenkt uns ein zahnloses Lächeln. Er trägt ein blaues Jackett über den wallend traditionellen Gewändern. Woher wir denn kämen, will der alte Wüstenfuchs wissen. „Ah, Dehrmahni, very good!“ Heraus stellt sich, dass einer seiner vierundzwanzig Söhne in Deutschland studiert hat: „In Haddillbeeg, very nice, very good wheather!“ Da werden wir natürlich hellhörig wie die Wände in einer Jugendherberge. Und Muhammad verrät uns, während er nach und nach alle unsere Zigaretten schnorrt, in charmant gebrochenem Englisch seine Vorstellungen von gutem Wetter. Nass sollte es schon sein, weil sich nur dann die Bäche füllten. Schnee, das sei ein schlechter Scherz. Er kenne das zwar, habe daran aber wenig Freude. Angetan haben es ihm die dicken Bäuche grauer Wolken, die würde er gerne aufschlitzen. Ganz besonders reizen an unseren Breiten würde ihn der Umstand, dass es nachts nicht nennenswert kälter wäre als tagsüber.

Und erst der Nebel! Nebel sei ja ganz was Feines! Von einem Schmuggler auf topfebenem Terrain haben wir zwar nichts anderes erwartet, aber Muhammad weist uns auf eine ganz besonders entzückende Form von Nebel hin: Wenn ganz feine Tröpfchen sichtbar in der Luft stünden, das sei zögernder Regen, ganz wundervoll. Und wenn dann auch noch ein eisiger Wind durch die Maschen der durchnässten Klamotten weht – himmlisch! Im Übrigen kann auch dieser Beduine das Agitieren nicht lassen: Er bittet uns eindringlich, von einem Angriff auf den Irak Abstand zu nehmen. Gebongt!

Ein fernes Brummen schreckt uns auf. Ein Jeep? Tatsächlich, ein anderer Jeep! Selbst auf die Distanz, es müssen Kilometer sein, können wir die Leute auf der offenen Ladefläche erkennen! Es ist die letzte Chance vor Einbruch der Dunkelheit – winkend wie die Bekloppten versuchen wir, sie zu nutzen. Doch die Leute im Jeep winken nur ebenso bekloppt zurück, huhu, und fahren weiter. Als wir schon alle Hoffnung fahren lassen, dreht der Wagen doch noch bei.

Die drei Männer – Europäer! – in ihrem blitzblanken Allrad begrüßen uns kopfschüttelnd: „Wer in der Wüste in Not gerät“, belehrt uns der Anführer sächselnd, „der muss so machen …“, und dabei schlägt er in Zeitlupe die Hände über dem Kopf zusammen. Wir auch. Ausgerechnet Lawrence von Leipzig hat uns gerettet.