Unentschieden im Hauptstadtanzug

Dank neuem Trainer mit neuem Zwirn gelingt Hertha erstmals seit 25 Jahren ein Punktgewinn in Dortmund

Am Samstagabend konnte man im „Aktuellen Sportstudio“ sehen, dass Huub Stevens das erste Saisonspiel gegen Borussia Dortmund nicht sonderlich gestresst haben kann. So locker, als hätte er ein Abonnement auf die Meisterschaft in der Tasche oder wenigstens eine Garantie auf Teilnahme an der Champions League, steckte er die tausendunderste, an Peinlichkeit kaum mehr zu überbietende Steinbrecher’sche Frage nach dem feinen Zwirn, den er inzwischen bei Hertha trägt, weg und verkündete nicht ohne Charme, es gehe ihm in Berlin viel besser als auf Schalke. „Ich rauche nicht mehr so viel“, sagte er in Anspielung auf die Rauchschwaden von Rudi Assauer, die ihn auf Schalke umnebelten.

Überdies steht nach dem Unentschieden im Auftaktmatch am Freitag fest: Stevens wird in Berlin noch für manche überraschende Reaktion sorgen. Der neue Trainer macht Hertha in der Fußball-Bundesliga zur „Wundertüte“, wie die BamS bemerkt haben will, und möchte damit also die großen Drei – Dortmund, Leverkusen und Bayern München – „ärgern“.

Beim 2:2 zum Auftakt beim deutschen Meister Borussia Dortmund ließ der Niederländer eine Startelf auflaufen, die zuvor keiner auf der Rechnung hatte – und holte mit ihr den ersten Hertha-Punkt nach zuletzt neun Niederlagen im Westfalenstadion. „Wir waren stark wie noch nie in Dortmund“, lobte Manager Dieter Hoeneß. Das erste Remis seit 25 Jahren bei Borussia spreche für sich. „Unsere Moral und unser Risiko wurden am Ende noch belohnt“, meinte Stevens.

Andreas Neuendorf, der sich seinen Spitznamen „Zecke“ aufs Trikot hatte nähen lassen, als linker Verteidiger und die Jungprofis Arne Friedrich (23) und Thorben Marx (21) imponierten gleich als Leistungsträger. Zudem stand Pal Dardai in der Anfangsformation, Kapitän Michael Preetz fungierte als zusätzlicher Stürmer: Stevens verblüffte mit seiner offensiven Ausrichtung und eroberte nach der Kontertaktik im Ligapokal auch die Sympathien im eigenen Team.

„Es hat mir sehr gut getan“, sagte der Ungar Pal Dardai, der drei Wochen nach dem tragischen Tod seines Bruders die Trauer mit Fußball am besten verarbeiten konnte. „Das gibt Selbstvertrauen“, ergänzte Preetz. Und Neuendorf ließ sich auch von zwei folgenschweren Fehlern vor den Dortmunder Toren nicht entmutigen und sicherte mit aller Entschlossenheit das 2:2.

„Es werden sich in dieser Saison noch einige über meine Aufstellungen wundern“, kündigte Stevens (48) an. Keiner kann sich sicher sein, das hält die Spannung im Team hoch. Denn zufrieden zeigte sich der Trainer auch nach dem Punktgewinn von Dortmund noch nicht in vollem Umfang, auch wenn er sich zur Äußerung hinreißen ließ: „Wir sind schon ein bisschen eine Spitzenmannschaft.“ Fußballerisch aber sei der Auftritt noch nicht optimal gelaufen: zu viele Ungenauigkeiten, zu viele Abspielfehler, zu geringe geistige Beweglichkeit: „Da steckt mehr in der Mannschaft.“

Stevens jedenfalls scheint vom „Revier“-Club Schalke in Berlin definitiv angekommen zu sein, was sich im Westfalenstadion, so vermutete ZDF-Moderator Steinbrecher, auch im grauen Anzug plus blaue Krawatte dokumentiere. Mit großer Nachsicht legte ihm Stevens noch einmal dar, dass er es in der Hauptstadt für angemessener halte, im Anzug zu erscheinen. Wobei er anfügte: „Auf Schalke hatte ich ja auch einen Anzug an.“ Zum Glück ließ es Steinbrecher dann ein für alle Mal gut sein. DPA/TAZ