Dann ist sie gegangen

Die Siebenkämpferin Sabine Braun beendet mit einer Silbermedaille bei der Europameisterschaft ihre Karriere, wird gefeiert wie nie und übergibt die Nachfolge an die junge Schwedin Carolina Kluft

aus München FRANK KETTERER

Als die Siebenkämpferin Sabine Braun auf die Zielgerade eingebogen war, die nicht nur die letzten Meter dieses 800m-Laufes, sondern gleichsam einer langen, erfolgreichen Karriere sein sollten, gab es endgültig kein Halten mehr auf den Rängen des Münchner Olympiastadions. Das rhythmische Klatschen, das die große Athletin schon auf ihren letzten beiden Runden durchs Stadion getragen hatte, wuchs noch weiter an, und je näher Sabine Braun sich dem Zielstrich näherte, um so lauter und frenetischer wurde es, bis hin zu jenem Punkt, an dem das letzte Werk vollbracht war.

6.434 Punkte hatte Sabine Braun noch einmal, in ihrem 66. und allerletzten Siebenkampf, gesammelt, damit noch einmal eine Medaille, die silberne, gewonnen. Aber das alleine war es nicht, was das Münchner Publikum, vielleicht das beste Leichtathletik-Publikum der Welt, von den Sitzen riss. Vielmehr war es das Wissen um die Bedeutung des Augenblicks – und das feine Gespür dafür, dass es an der Zeit war, dieser Sabine Braun am Ende ihres Weges akklamierend zu danken. Dank für 20 Jahre Siebenkampf auf höchstem Niveau.

„Es ist phantastisch, am Ende meiner Karriere vor so einem Publikum im eigenen Land noch einmal Silber zu holen“, sagte die Gehuldigte, und es war spürbar, wie nahe der 37-Jährigen die Huldigungen des Publikums gingen. Reichlich verwöhnt mit solcherlei euphorischen Sympathiebekundungen wurde Sabine Braun in den zurückliegenden Jahren nämlich kaum. Viel mehr als Respekt für ihre zwei Welt- (1991 und 1997) und zwei Europameistertitel (90/94) sowie die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1992 hatte ihr die deutsche Öffentlichkeit eigentlich nie geschenkt. Dafür kam sie doch zu spröde daher, zu unscheinbar, zu nüchtern, einfach zu blass, und das nicht nur, weil sie ein sehr heller Hauttyp ist. Man könnte auch sagen: Braun hatte nie das Zeug für eine Königin der Herzen, da konnte sie laufen, springen oder werfen, so schnell und so weit sie wollte. Leistung und Erfolg allein reichen nicht.

Schon deshalb dürfte es wichtig für Sabine Braun gewesen sein, dass ihr das Publikum nun einen solchen Abschied bereitet hat, allzu große Gesten oder gar Gefühle durfte man aber auch in diesem speziellen Moment nicht von ihr erwarten, sie ist einfach nicht die Frau dafür. Eine Ehrenrunde im Stadion „geht gerade noch“. Nach dem Moment der ersten Rührung auch noch von Wehmut zu reden und damit den allgemeinen Erwartungen zu entsprechen, war dann aber doch schon zu viel verlangt. „Vielleicht“, sprach sie mit ruhiger, fester Stimme, „wird sich die Wehmut nächste Woche, nächsten Monat oder irgendwann im Dezember einstellen.“ Vielleicht aber auch gar nicht, wer weiß das schon bei dieser Sabine Braun. Sie hat ihr Karriereende mit Bedacht geplant und sie zieht es durch, wie sie ihren Sport immer durchgezogen hat, jedenfalls nach außen hin: Planmäßig, kontrolliert, kühl. Frage: Was sie vom Siebenkampf vermissen wird? Antwort: „Wahrscheinlich das Gefühl nach dem 800m-Lauf.“ Nächste Frage: Was sie vom Siebenkampf nicht vermissen wird? Antwort: „Wahrscheinlich das Gefühl vor dem 800m-Lauf.“ Solche Antworten gibt Sabine Braun, seit eh und je.

Nun ist die große alte Dame des Siebenkampfs also von der Bühne gegangen. Und wie so oft, wenn etwas endet, beginnt im gleichen Atemzug etwas Neues, Aufregendes. Das Neue im Siebenkampf trägt ein kanariengelbes Trikot, blonde Haare, bunt lackierte Fingernägel und war noch gar nicht auf der Welt, als Sabine Braun schon siebenkämpfte. Carolina Kluft ist erst 19 und darf eigentlich noch in der Juniorenklasse starten. Europameisterin ist die blonde Schwedin in München dennoch geworden, mit 6.542 Punkten, was nichts weniger bedeutete als einen neuen Junioren-Weltrekord. Das ist wirklich eine großartige Leistung, aber deswegen alleine hat Carolina Kluft die Aufmerksamkeit natürlich nicht auf sich gezogen, wie gesagt: Leistung alleine reicht heute nicht mehr aus.

Was Kluft bietet, reicht allemal. Sie ist jung und gut und flippig bis zum Gehtnichtmehr, selbst in Phasen, in denen sie sich auf den Wettkampf konzentrieren soll, hat sie einen Walkman auf den Ohren und macht dazu allerlei Faxen im Takt der Rockmusik, mit der sie sich beschallt. Außerdem kommt in jedem zweiten Satz das Wörtchen „fun“ vor, wenn Kluft über sich, ihr Leben und ihren Sport erzählt, und dabei rollt die junge Schwedin so verführerisch und kokett mit ihren großen blauen Augen, dass den ohnehin meist männlichen Sportreportern ganz anders wird.

Carolina Kluft stellt quasi das Gegenmodell zu Braun dar, und ganz bestimmt ist es kein Zufall, dass die eine just in dem Moment geht, in dem die andere kommt. „Eine ganz andere Mentalität“, hat Braun bei der schrillen Schwedin und auch den anderen jungen Siebenkämpferinnen ausgemacht, von manchen kennt sie noch nicht einmal mehr die Namen, warum auch, sie hat zu den jungen Dingern eh nicht mehr den Draht.

„Es kommt halt immer mehr Show dazu“, hat Braun noch gesagt, während gleich nebenan Carolina Kluft mal wieder ein bisschen rumzappelte und mit den schwedischen Reportern, die sie zu vergöttern schienen, flachste. Sabine Braun hat nur kurz einen Blick auf die Szene geworden. Dann hat sie ihre Sachen gepackt und ist gegangen.