Eine lässliche Sünde

Bayer Leverkusen versäumt es beim 1:1 in Cottbus, seiner Suprematie auch zahlenmäßig Ausdruck zu verleihen

COTTBUS taz ■ Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar war nach dem 11. September 2001 „tagelang traumatisiert“. Warum, das verriet er der Berliner Stadtillustrierten Zitty: „Ich wachte morgens auf, und meine Stimme war weg. Und das passierte ausgerechnet am 11. September 2001 – meinem ersten Drehtag.“ Nun ja, jeder hat das Trauma, das er verdient, Bayer Leverkusen zum Beispiel jenes des ewigen Zweiten, auf alle Zeit verbunden mit dem Namen SpVgg Unterhaching.

Energie Cottbus gehört nicht zu den Leverkusener Traumata, und so wird es wohl auch bleiben, trotz des unbefriedigenden 1:1, das der flächendeckende Vizemeister der letzten Spielzeit am Samstag im Stadion der Freundschaft erzielte. Schließlich steht dieses Ergebnis am Anfang einer langen Saison und wird, wenn am Ende die Abrechnung naht, längst vergessen sein.

Dennoch sind es genau solche Spiele, in denen Meisterschaften verloren werden. Partien, die bei unanständig hohen Temperaturen gefällig dahinplätschern, mit Chancen hüben und drüben, aber doch einem deutlichen spielerischen Übergewicht der besser besetzten Mannschaft. Manchmal gehen solche Spiele 0:0 aus, gelegentlich gewinnt ein aufopfernd kämpfendes Heimteam durch einen glücklichen Zufall, doch meist schießt der Favorit irgendwann ein Tor und die Sache ist gelaufen.

So schien es auch in Cottbus zu sein, als Jan Simak nach rund einer Stunde mit netter Einzelleistung für das Leverkusener 1:0 gesorgt hatte. Vorausgegangen war eine taktische Undiszipliniertheit, die Energie-Trainer Eduard Geyer vermutlich noch die ganze Woche verfolgen wird. Bei einem Konter der im eigenen Stadion vollständig auf Konter ausgerichteten Cottbuser rückten diese zu ungestüm nach, verloren den Ball und wurden prompt selbst ausgekontert.

Danach war die Luft raus sowohl bei den Spielern, denen nichts mehr einfiel, um die gelegentlich wacklige Bayer-Abwehr in die Bredouille zu bringen, als auch beim Publikum, das Eduard Geyer zuvor persönlich als zwölften Mann zwangsverpflichtet hatte. Wer nach dem Spiel nicht „krächze“, der habe mit seinem Zorn zu rechnen, hatte Geyer gedroht. Man sah ihn bereits vor sich, den knorzigen Energieminister von Cottbus, wie er den Abend lang durch die Kneipen streift, jene am Kragen packt, die ihm ein unvorsichtiges und klar verständliches „Mensch, Ede, bist du das wirklich?“ entgegenschmettern, und sie in einen Kasernenhof zum Stimmbandexerzieren verschleppt.

Es war Ruhe eingekehrt bei den 13.795 Besuchern im baustellenzerfurchten Stadion, eine stille Resignation, die auch die Spieler erfasste, bis plötzlich Miriuta in der 79. Minute eine Ecke auf den Kopf des völlig freien Sebök zirkelte und der zum 1:1 traf. Dabei war es kaum ein Zufall, dass es der Brasilianer Lucio war, welcher den Cottbuser Einwechselspieler so freistehen ließ. Schon vorher hatte der stolze Weltmeister gewirkt, als habe ihm sein Leibarzt jede schnelle Bewegung verboten.

Lucio war nicht der einzige Leverkusener, welcher noch sichtbar unter den Folgen des Bayer-Marathons der letzten Spielzeit litt. Permanente englische Wochen wegen der Beteiligung an drei Wettbewerben bis zum bitteren Ende, danach die meisten Akteure auf WM-Pfaden und erst kürzlich aus dem Urlaub zurückgekehrt, dies natürlich nicht gerade im Zustand unbändiger Fitness. Trainer Klaus Toppmöller konnte unter diesen Umständen mit dem einen Punkt gerade so leben, auch wenn er heftig erbost über das Gegentor war: „Wir haben vorher ausgiebig über die Stärke der Cottbuser bei Standardsituationen gesprochen.“

Auch mit schlappen Beinen und einem gewissen Grad an vizeweltmeisterlicher Überheblichkeit ließ Bayer hin und wieder seinen Spielwitz schillern und anklingen, dass die Abgänge von Ballack und Zé Roberto möglicherweise doch verschmerzbar sind. Neuzugang Hanno Balitsch bestach durch Emsigkeit und Initiative, Jan Simak wirkte zwischen Schneider und Bastürk zwar oft etwas überflüssig, zeigte aber mit seinem Treffer, dass er das Zeug hat, in Ballacks Fußstapfen als Produzent wichtiger Tore zu treten.

Was den Leverkusenern fehlte, war die Kaltblütigkeit und Entschlossenheit, nach dem 1:0 die Sache endgültig zu entscheiden. Eine lässliche Sünde am Beginn einer Saison, sollte man meinen, aber wie viele Punkte waren es doch gleich, die vergangene Saison die Meisterschaft kosteten?

MATTI LIESKE

Energie Cottbus: Piplica - da Silva (64. Sebök) - Beeck, Hujdurovic - Schröter, Akrapovic, Kaluzny, Löw - Miriuta - Topic (80. Reichenberger), Juskowiak (59. Feldhoff)Bayer Leverkusen: Butt - Zivkovic, Lucio, Juan, Placente (46. Sebescen) - Balitsch (82. Neuville), Ramelow - Schneider, Bastürk, Simak - Berbatow (67. Brdaric) Zuschauer: 13.750; Tore: 0:1 Simak (64.), 1:1 Sebök (79.)