Wo die Sonnenblume welkt

Dauerregen, Schneckenplage, Pilzbefall und widrige Bedingungen setzen in diesem Sommer Blumen und Bäumen heftig zu. Die heimische Pfanzenwelt kommt damit aber klar, sagen die Botaniker

von KAIJA KUTTER

Dieser Sommer weckt düstere Endzeitstimmungen. Im Dauerregen faulen die Blätter an Obstbäumen dahin, Äpfel oder Kirschen sind gar nicht zu erblicken. Am Boden futtern die immer dicker werdenden Schnecken alles auf, was nicht auf ihrer Igitt-Liste steht (Nachtkerzen, Pfingstrosen, Phlox, Knöterich, Geranien, Fetthenne, Goldrute, Hauswurz, Ehrenpreis Eisenkraut und Kapuzinerkresse mögen die nicht). Dabei verschonen sie nicht mal Notizzettel, die versehentlich über Nacht auf dem Gartentsisch liegen blieben. Und bei den wöchentlichen Unwettern kracht schon mal der dicke Ast eines pilzgeschwächten Baumes auf den Gehweg, knapp vorbei an parkenden Autos.

War es das? Geht es mit der Natur zu Ende? Botaniker Stefan Rust sieht das eher gelassen. „Wetterschwankungen wie diese“ seien aus der Sicht der heimischen Pflanzenwelt „ganz normal“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Botanischen Garten in Klein Flottbek . Etwas anderes sei es mit den „Zierpflanzen und dem Erwerbsgartenbau“. Rust: „Unsere Nutzpflanzen sind wärme- und trockenheitsbedürftig.“ Die meisten Sommerblumen stammten gar aus den Halbwüsten der Erde. Und ein Obstbaum brauche Platz. Da sei die enge Obstkolonie der „falsche Lebensraum“, in dem so ein Apfelbaum nicht freiwillig wächst. Zudem seien unsere Fruchtbäume meist künstlich hochgezüchtet und somit anfälliger für Krankheiten als die „heimischen Ausgangsarten“.

Rust sieht die Ursache für die rasante Ausbreitung von Baumkrankheiten wie Monilia, Birnenrost und Apelschorf jedoch kulturell begründet. „Früher haben die Menschen von ihren Obstbäumen gelebt. Heute weiß keiner mehr, wie man die schneidet.“ Ohne den regelmäßigen Verjüngungsschnitt fehlt es den Bäumen an Licht und Luft, und die Krankheiten breiten sich schnell aus. Rust pessimistisch: „Heute ist der Infektionsdruck aus den Nachbargärten so groß, das wird nichts mehr.“

Statt von Krankheit befallene Äste oder gar den ganzen Stamm in Panik abzusägen, rät Rust, den Baum von einem Profi beschneiden zu lassen – oder von alten Leuten, die noch wissen, wie das geht. Allerdings warnt der Botaniker vor Dumpingfirmen. „Da kann man Pech haben, und die machen so einen Hausmeister-Heckenschnitt.“ Auch das Ersetzen der alten durch junge Bäume sei nicht unbedingt sinnvoll: „Bei gleicher Wetterlage sieht der im nächsten Jahr genauso aus. Nur hat er nicht die Reserven in den Wurzeln, dies zu überstehen.“ Ein großer Baum dagegen gehe von einmaligem Störbefall nicht gleich ein.

Der Dauerfeuchtigkeit ist auch das rasante Schneckenwachstum zu verdanken, das den sommerlichen Barfußgang auf dem Rasen zum Ekelparcours werden lässt. Bis zu 15 Zentimeter werden die braunen Nackttiere lang, die zu 85 Prozent aus Wasser bestehen und in einer Nacht bis zu 25 Meter wandern. Rust hat allein im Juli im eigenen Garten 6000 Stück eingesammelt. Schneckenbeseitigungstipps, auch tierfreundliche für Vegetarier, sind zuhauf im Internet nachzulesen. Aber in Jahren wie diesen fühlt sich jeder, der diese anwendet, der Schneckenübermacht erlegen. Lauert hier nun die wahre ökologische Katastrophe? Sind unsere Pflanzenarten durch die aus Spanien eingewanderten, vermehrungsfreudigen Kriechtiere, denen der natürliche Feind fehlt, bedroht?

Doch auch hier ist von Expertenseite Erstaunliches zu hören. Zwar gilt die Sonnenblume als „Loser des Jahres“, so Rust, haben Rittersporn, Strohblumen, Dahlien, Glockenblumen und Astern keine Chance, auch nur wenige Tage in freier Wildbahn zu überstehen. „Es ist keine Wildpfanze bedroht, um die es aus ökologischer Sicht schade wäre“, sagt der Biologe. Die wiederum hätten statt der Schnecken ganz andere Probleme: Sie werden durch die Zivilisation bedroht. Und auch wenn die Schleimtiere ganze Giersch-Plantagen platt machen, sei dies kein Grund zu Sorge: „Der Garten wird grün bleiben“, sagt Rust. Es sei aus ökologischer Sicht ein ganz normaler Vorgang, dass Pflanzen plötzlich weg sind, „und nach fünf oder sechs Jahren wiederkommen“. Selbst Rittersporn und Sonnenblume würden nicht aussterben, sondern Jahr für Jahr von den Gärtnereien wieder angeboten, weil diese Geld damit verdienen.

Und wann bitte, können wir diese wieder pflanzen und uns an der blauen und gelben Schönheit erfreuen? „Wenn wir einen eiskalten Winter und einen trockenen Sommer haben, gibt es kein Schneckenproblem“, prophezeit der Biologe.

Das haben wir im Vorjahr auch schon gehört.