Ein trister Herbsttag im August

Dauerregen, dunkle Wolken, Trenchcoat-Temperaturen: Die Warenhäuser profitieren nicht nur beim Schirmabsatz von der himmlischen Trübsal. Sonst spazieren Touristen gelassen durch das Nass. Berliner sind ohnehin an grauen Himmel gewöhnt

von ANETT KELLER

Novembergrau ward einem zumute beim Blick in den Himmel. Flau im Magen ob apokalyptischer Vorhersagen der Wetterdienste. Hartgesottene schwangen sich gestern trotz Dauerregen aufs Fahrrad und bezahlten ihren Leichtsinn mit triefend nassen Hosen. Doch auch jene, die schlau auf die U-Bahn umstiegen, lebten nicht ungefährlich. Schnell konnte auf engen Treppen die Speiche eines etwas betagteren Regenschirms zum Verhängnis werden. Wer irgend konnte, blieb gestern daheim. Einzig Touristen, so schien es, bevölkerten unverdrossen die sonst menschenarmen Straßen.

Familie Gregori aus Ahaus hat sich am Museum am Checkpoint Charlie untergestellt. „Ich hab gedacht, Berlin hat kontinentales Klima, da hab ich mich wohl getäuscht“, witzelt Friedrich Gregori. Ganz kontinental in Poloshirt und kurzer Hose gewandet, ist Gregoris Optimismus unverwüstlich. „Wir hatten ohnehin das Jüdische Museum und den Checkpoint Charlie auf der Liste, uns stört das überhaupt nicht.“ Einzig auf dem Potsdamer Zeltplatz, wo der Wohnwagen steht, wäre ein bisschen Land unter, zehn Zentimeter Wasser. Aber da der Zeltplatz Himmelreich heiße, fühle man sich sicher.

Kein Grund zur Panik, finden auch Susanne Eisler und Andreas Hilkner, die im strömenden Regen zu Fuß vom Prenzlauer Berg nach Kreuzberg unterwegs sind. Die Kölner zucken mit den Schultern, als gäbe an einem Tag wie diesem nichts anderes zu tun als Spazierengehen. „Wir haben uns halt einen Schirm gekauft.“

Glücklich über derart unkomplizierte Kundschaft waren gestern vor allem die Warenhäuser. Eine hundertprozentige Steigerung beim Schirmverkauf verzeichnete das KaDeWe gestern. Pressesprecherin Dagmar Flade freut sich nicht nur deswegen über den himmlischen Trübsinn. „Die Leute kaufen alles, was gut fürs Ego ist – wie im November. Hochkonjunktur für Schlemmerecke und Kosmetikabteilung.“

Auch der Kaufhof am Alex profitiert von schirmlosen Touristen. 400 bis 500 Regenschirme gehen dort bei Ganztagsregen über den Verkaufstresen. „Sechs- bis achtmal so viel wie sonst“, sagt Geschäftsführer Dieter Zeih. Steigen mit der Niederschlagsmenge auch die Preise? Zeih lacht: „Marktwirtschaftlich gesehen müsste das schon so sein. Aber das wäre unseriös.“

Schirm kaufen? Für solche Umwege haben Dascha und Natalia Vashkevich gar keine Zeit. Durchgeweicht wie zwei nasse Pudel stehen Mutter und Tochter am Halleschen Tor. Gerade aus Minsk angekommen, wollten sie die drei Stunden Aufenthalt bis zur Weiterfahrt nach Heidelberg am Potsdamer Platz verbringen. Doch sein Glanz schien im Regengrau erloschen, die beiden Weißrussinnen irrten ziellos umher. Dennoch: „Ich bin sehr froh, Berlin sehen zu können“, sagt Dascha. Die ist nur sauer auf ihren Mann. „Der hat zu mir gesagt: ‚Schatz, du brauchst keinen Schirm mitnehmen. Ich besitze doch mehrere.‘ “

An Unverwüstlichkeit überbieten kann den Touristen nur noch einer, der Ur-Berliner. „Ein bisschen extrem ist er schon, der Regen.“ Doch für Gejammer hat Erika Weiß keine Zeit. Arztbesuch, Bank, Einkäufe, alles will erledigt sein. Vor der Sparkasse an der Friedrichstraße hat sie sich nur kurz untergestellt. „Die spinnen doch alle, die Wetterfrösche.“ Die Rentnerin erinnerst sich an Pfützenhüpfspaß in Kindertagen. „Det Wetter hier, det war schon immer so!“

Und wenn man es draußen doch nicht mehr aushält? „Dann kiekn wa Fernsehen“ ist die Maxime bei Erika Weiß. Familie Ahaus aus Köln ist unterwegs ins Multiplex-Kino. „Da läuft ‚Die Tiefen des Meeres‘ “, kündigt der Vater zur Freude der Kinder an. „Feuchter kann es da auch nicht mehr werden.“