Alles rennet, rettet, flüchtet

Die Sommersintflut überschwemmt weite Teile Bayerns, Sachsens, Tschechiens und Österreichs. Tausende Menschen müssen ihre Häuser verlassen. Bundesregierung sagt schnelle Hilfe zu

BERLIN taz ■ Die Flutwellen in Mitteleuropa breiten sich weiter aus. Am schlimmsten betroffen waren gestern Sachsen und Böhmen, aber auch Teile Bayerns und Österreichs. Das Tief Ilse hatte am Montag den bisherigen deutschen Regenrekord gebrochen und im erzgebirgischen Zinnwald binnen 24 Stunden 312 Liter pro Quadratmeter niedergehen lassen. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) meinte gestern in Dresden, die Überschwemmungen seien von der Intensität und den Ausmaßen her das größte Unglück, das Sachsen je hatte. In den Fluten seien bisher zwei Personen ums Leben gekommen, weitere sechs Menschen, darunter ein Feuerwehrmann, werden vermisst. In 14 Landkreisen und kreisfreien Städten besteht Katastrophenalarm. Einige Orte sind von der Außenwelt abgeschnitten.

Im bayerischen Passau stemmten sich hunderte von Bürgern verzweifelt gegen die schlimmste Hochwasserflut seit 48 Jahren. In der wassererprobten Dreiflüssestadt hieß es: „So schnell wie diesmal sind die Pegel noch nie gestiegen.“ Immerhin schien gestern der Höhepunkt der Flutwelle erreicht, bayernweit hörten die Regenfälle auf. Knapp 1.500 Soldaten der Bundeswehr unterstützten in Sachsen, Thüringen und Bayern die völlig erschöpften Retter.

Die tschechische Hauptstadt Prag erwartete am Dienstag die schlimmste Überflutung seit mehr als 100 Jahren. 40.000 Bewohner verließen ihre Häuser. Der Scheitelpunkt des Moldauhochwassers sollte gegen 19 Uhr eintreffen. Landesweit sind sieben Menschen ertrunken.

Nun wandern die Wellen die Flüsse herunter: Das sächsische Innenministerium fürchtet für Dresden heute eine neue, noch höhere Welle, die aus dem tschechischen Teil des Erzgebirges herüberschwappt. Auch das Land Sachsen-Anhalt bereitet sich bereits auf das Elbhochwasser vor. Reinhard Strumpf vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft erwartet, dass die volle Hochwasserwelle das Land „zum Wochenende hin“ erreichen und „enorme Aufwendungen zur Deichsicherung“ erfordern wird. ARD-Wetterfrosch Jörg Kachelmann rechnet damit, dass sich die Hochwasserwelle elbabwärts bis hinunter nach Niedersachsen wälzen wird. Für Hamburg sehen aber weder Kachelmann noch die dortige Innenbehörde eine Gefahr.

In Österreich überflutete das Jahrhunderthochwasser zahlreiche Städte und verwandelte ganze Landstriche in Seen. Die Donaustädte Ybbs und Melk waren in großen Teilen ebenso überschwemmt wie Steyr, Perg und Schwertberg in Oberösterreich. Tausende Menschen waren vom Hochwasser in ihren Häusern eingeschlossen. Wien sieht sich wegen existierender Flutkanäle nicht allzu sehr in Gefahr.

In Deutschland äußerten sich Politiker der rot-grünen Regierungskoalition zu den Unwettern und forderten, mehr für den Klimaschutz zu tun. CSU-Kandidat Stoiber und seine Mannschaft konnten nur unzureichend gegenargumentieren – es rächt sich jetzt unerwartet, dass er in seinem Schattenkabinett keinen Umweltminister nominiert hat, weil das Thema „im Moment nicht emotionsbehaftet schien“, so ein Unions-Umweltexperte.

Angesichts der Schäden hat die Bundesregierung Soforthilfen von 100 Millionen Euro angekündigt. Das Umweltbundesamt warnte Badewillige in ganz Deutschland: Da in weiten Teilen des Landes durch die heftigen Regenfälle der Inhalt der Kanalisationssysteme ungeklärt in die Gewässer geflossen sei, drohe in den nächsten Tagen Gefahr durch Bakterien. REM

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