Taliban auch in Berlin

Weltreport des Rates der Unesco zur Denkmalpflege kritisiert in Fallstudie zu Berlin den Umgang mit dem historischen und modernen Erbe. Stadtschloss steht nicht auf der Liste, taugt aber als Fotomotiv

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

In Berlin werden Denkmäler und historische Kulturbauten zwar nicht wie in anderen Teilen der Erde durch politische Konflikte, soziale Krisen und Massentourismus zerstört. Doch die internationalen Denkmalexperten sorgen sich auch um die gefährdeten historischen Bausubstanzen, den Umgang mit den Architekturen der Moderne sowie um die Entscheidung zur Wiederherstellung des Stadtschlosses in der Hauptstadt. In dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten „Weltreport“ des Rats der Unesco für Denkmalpflege (Icomos, International Council on Monuments and Sites) warnt der 1965 gegründete Rat in einer „Fallstudie Berlin“ davor, Gebäude aus finanzieller Not einfach weiter verfallen zu lassen oder diese gar aus kommerziellen Interessen abzureißen. „Statt sich wieder auf den Erhalt und die Reparatur zu besinnen“, sagte Icomos-Präsident Michael Petzet, „steht der Abriss im Vordergrund. Das ist billiger für Investoren.“

Sicher, Berlin ist nicht zu vergleichen mit den „skandalösen Zuständen anderer Länder“, so Petzet, von denen 70 im zweiten Weltreport dokumentiert und aufgelistet sind. Zu den akut gefährdeten Stätten gehörten die Ruinen der antiken Stadt Herculaneum am Vesuv, wo Mosaikböden niedergetrampelt würden und Regen in die Böden dringen könne – ohne dass konkrete Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Bereits im Jahr 2000 hatten die Unesco-Denkmalpfleger wegen des ebenfalls ruinösen Zustands des benachbarten Pompeji Alarm geschlagen.

Im Bamiyan-Tal in Afghanistan, wo die Taliban im März 2001 die große Buddha-Statue ungeachtet des internationalen Protests gesprengt hatten, herrsche den Angaben zufolge ebenfalls das Chaos. Zwar seien größere Teile der einst 50 Meter großen Figur noch als „tonnenschwere Fragmente“ relativ gut erhalten und auch ein Wiederaufbau wäre technisch möglich. Wichtiger sei aber im Augenblick, dass das gesamte Areal erst einmal gegen Einsturzgefahr gesichert werden müsse. „Die Lage ist lebensbedrohlich“, sagte Petzet, der weitere Beispiele der Zerstörung aus Nepal und Mexiko anführte.

Konkret geht die „Fallstudie zu Berlin“ auf den drohenden Untergang von Kirchen, etwa der Elisabethkirche von Karl Friedrich Schinkel und der Parochialkirche im Bezirk Mitte ein. Gerügt wird auch die Beschädigung des Landschaftsdenkmals Tiergartens durch die Love Parade und die Methode der Entkernung aus rein wirtschaftlichen Interessen, wie beim Zollernhof.

Fehlendes Geld im Landeshaushalt und Großstadt-Events bildeten keine Legitimation, den Missbrauch zu tolerieren und eine „gefährliche Situation für das Kulturerbe“ heraufzubeschwören, sagte Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen.

Jörg Haspel, Chef der Landesdenkmalbehörde, sieht noch ein weiteres Feld des möglichen Verfalls: nämlich die ungeliebte Architektur der Moderne. „Das Erbe des 20. Jahrhunderts ist akut gefährdet.“ Als Beispiele nannte Haspel die leer stehende Taut-Schule, das einstige DDR-Rundfunkhaus in der Nalepastraße oder die öffentlichen Bauten von Ludwig Hoffmann, eines der größten Architekten der vorletzten Jahrhundertwende. Hier komme es darauf an, einen Wandel in der Nutzungsfähigkeit herbeizuführen, denn „künftige Nutzer sichern das Überleben der Denkmäler“, sagte Haspel.

Und das Stadtschloss? Petzet musste grinsen, ist doch der Wiederaufbau nicht das Thema der Denkmalpflege. Er könne sich das nicht „unbedingt“ vorstellen, wand sich der Icomos-Boss. Oder doch? „In Frankfurt hat man ja die Fachwerk-Römerzeile nachgebaut.“ Das sehe zwar nicht echt aus, „eignet sich aber gut für Touristenfotos“. Und da in Berlin viel fotografiert werde, könne man beim Thema Stadtschlossaufbau halt mal ’ne Ausnahme machen.