: Geld für den Briefkasten
Eine Mailbox, die auch auf Reisen jederzeit aus dem Web abrufbar ist, war bislang kostenlos und praktisch. Aber jetzt wird der Spaß ziemlich teuer, wenn man ihn auch zu Hause haben will
von ROLAND HOFWILER
Ein Girokonto, das versprachen die Banken einst in den frühen 60er-Jahren, wird nur Vorteile bringen und keinerlei Kosten. Das galt dann auch für die folgenden zehn, fünfzehn Jahre. Doch als sich die Bankkunden an die neue Form des Geldtransfers gewöhnt hatten, war plötzlich Schluss mit kostenlos. Heute gilt es als selbstverständlich, dass man für die monatliche Gehaltszahlung und die laufenden Überweisungen vierteljährlich ein paar Euro Bearbeitungs- und Verwaltungsgebühr an die Geldinstitute abdrückt.
Ähnliches scheint sich nun beim längst alltäglich gewordenen e-mailen zu wiederholen: Trotz aller Dementis von Seiten der deutschen Anbieter von Maildiensten im Web: In Zukunft wird das Versenden und Empfangen von elektronischer Post über eine überall aufrufbrae Website ein bisschen Kleingeld kosten. Amerikanische Provider machen es vor, und da ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Deutschen nachziehen.
Doch der lange Marsch zum harten Kleingeld der bislang mit täglich neuen Gratisangeboten verwöhnten Internet-User ist gefährlich – allzu leicht kann es geschehen, dass die so mühsam angeworbenen festen Kunden verprellt werden. Yahoo beispielsweise versucht es mit einer Salamitaktik. Seit dem 24. April können die E-Mails nur noch dann kostenlos abgerufen und verschickt werden, wenn man dazu die Website bei Yahoo aufruft und die dort eingebaute Unterseite für die Verwaltung des E-Mail-Kontos öffnet. Das kann zu Spitzenzeiten zum Verzweifeln lange dauern und ist in der Regel nur dann sinnvoll, wenn man unterwegs den eigenen Computer nicht zur Verfügung hat. Zudem ist die Bedienungsoberfläche eines Mailmoduls im Web auch bei Yahoo weit weniger komfortabel als diejenige der gängigen Mailprogramme, die auf dem eigenen Rechner installiert werden, wie etwa „Outlook Express“ von Microsoft oder der zum Browserpaket von Netscape gehörende „Messenger“.
Beide sind übrigens noch immer kostenlos, und bislang musste niemand für seine Mailadresse bei Yahoo auf die Bequemlichkeit solcher Programme verzichten. Sie konnten problemlos auch die dort ankommenden Mails abrufen. Das können sie auch immer noch, nur kostet das jetzt eine jährliche Nutzungsgebühr von 30 Dollar. Dasselbe gilt auch für die Weiterleitung der Post auf einen anderes Konto – auch dieser Ausweg ist versperrt: Wer nichts bezahlen will, muss in jedem Fall die Website von Yahoo aufrufen, die vermutlich einer der teuersten Werbeplätze im Web ist. Wer es dagegen unterwegs wie zu Hause mit derselben Adresse gern etwas bequemer hat, der muss zur Kreditkarte greifen.
Kalter Abschied
Nicht nur Yahoo ist fest entschlossen, niemanden aus diesem Klammergriff zu entlassen. Neben Kleinstportalen haben in den Vereinigten Staaten fast zeitgleich auch Altavista, Lycos und Mail.Com ihren kostenlosen Webmaildienste eingestellt. Und erste Vorboten der neuen Teuerungswelle sind in Deutschland schon in Sicht: Im Februar mussten sich die Benutzer von „Redseven.de“ buchstäblich über Nacht nach einem neuen Webmaildienst umsehen, nachdem die Betreiberfirma Pro Sieben Digital Media das kostenlose Angebot ohne Begründung kurzerhand gleich ganz aus dem Web nahm. Ebenso ins Nichts löste sich das Portal „Genie.de“ auf, mit dem schlichten Hinweis, sich künftig doch bei „MyWeb.de“ umzuschauen.
Die seriöseren deutschen Branchenführer wie Web.de und GMX.de bestreiten weiterhin, ihre kostenlosen Webmailangebote einschränken und für den vollen Service eine Gebühr erheben zu wollen. Offiziell heißt es von den Pressestellen der beiden, die Bedingungen seien in Europa „ganz andere als in Übersee“ und für solche Schritte „fehle jegliche Grundlage“.
GMX lockt auf seiner Website die Kunden nach wie vor mit dem Slogan: „Sie erhalten Ihre persönliche Mailbox und Ihre individuelle E-Mail-Adresse, die Ihnen ein Leben lang treu bleibt.“ Die „kostenlose Grundausrüstung“ sei „zuverlässig, schnell und einfach“. Noch vorigen Herbst las man Gleiches auf den amerikanischen Webmailseiten, sogar mit dem Zusatz, auch das Versenden von SMS-Nachrichten sei frei. Kaum jemand wird sich noch daran erinnern. Seit Jahresbeginn sind nahezu alle kostenlosen SMS-Versandformen aus dem Internet verschwunden – auch in Deutschland.
Als Grund für die Einschränkung machen die Portalbetreiber vor allem die drastischen Preiserhöhungen seitens der Mobilfunkgesellschaften verantwortlich. So hat etwa O2, ehemals Viag Interkom, die Preise für SMS, die aus dem Internet auf sein Mobilfunknetz geschickt werden, nach eigenen Angaben ab Januar auch für Großkunden von 2 Cent pro Nachricht auf 5,5 Cent mehr als verdoppelt. Eva Vennemann, Pressesprecherin bei Web.de, lässt den SMS-Vergleich jedoch nicht gelten. Trotzdem räumt sie ein, das Versenden und Empfangen elektronischer Post über ein eigenes Mailprogramm auf dem eigenen Computer des Kunden könnte eines Tages auch bei ihrem Portal kostenpflichtig werden. „Das war etwas anderes bei der SMS-Versendung, da hatten wir keinen Einfluss auf das Verhalten der Mobilfunkpartner“, sagt Vennemann. „Wenn die ihre Gebühren anheben, sind wir machtlos und müssen das an die Kunden weitergeben; beim Grundpaket einer persönlichen Mailbox bestimmen wir allein die Bedingungen.“
Mehrwert statt Werbung
Die Betreiber müssen der Erfahrung Rechnung tragen, dass Werbeeinnahmen allein heute keinen anspruchsvollen Internetdienst finanzieren können. Die heute noch öffentlich verkündete Firmenstrategie von Web.de, wo sich statistisch gesehen immerhin fast jeder dritte deutsche Internetsurfer schon eine Mailadresse eingerichtet hat, sieht vor, durch kommerzielle Angebote wie zusätzliche digitale Dienste und E-Commerce zwei stabile „Säulen des Erfolgs“ aufzubauen, die das kostenlose Grundpaket mittragen sollen.
Nicht nachprüfbar sind Angaben, wonach der so genannte Web.de-Club schon jetzt fünfstellige Mitgliederzahlen hat. Das kostenpflichtige Angebot enthält ein SMS-Paket, 100 Megabyte persönlichen Speicherplatz, eine Telefonnumer nach Wunsch und – natürlich – werbefreie Oberflächen. Angeblich sind Kunden immer bereit, „für echten Mehrwert im Internet zu zahlen“.
So plausibel diese seit Jahren vertretene Behauptung klingt, bewiesen ist sie nicht. Heftig wird die Frage in Chats und Mailforen debattiert. Die Meinungen sind geteilt. Ein User etwa schrieb in einem Beitrag, er werde zahlen, denn „dann verschwindet die nervtötende Werbezeile endlich aus den Mails“. Andere argumentieren, die Verbindung von einer persönlichen Startseite und einem Mailzugang über das Web sei etwa bei Yahoo „einfach so genial“, dass dafür eine Gebühr schon vertretbar sei. In der Tat lassen sich bei Yahoo auf der persönlichen Seite dutzende professioneller Nachrichtendienste abrufen – bislang noch kostenlos.
Wie lange noch? Die Mehrheit in den meisten Onlineforen zum Thema ist optimistisch. Sie vertritt unbeirrt den Standpunkt, der seit Jahren unter echten Nerds als der einzig mögliche gilt. Einer von ihnen schreibt: „Es wird immer kostenlose E-Mail-Anbieter geben, wenn auch nur kleine, in den Nischen versteckte. Aber es wird sie geben. Genauso wie ‚content‘-Anbieter. Und die großen Möchtergernabzocker werden sich noch wundern. Das Internet ist nun eben doch nicht so einfach mit dem real life vergleichbar. Und genau das vergessen diese raffgierigen New-Economisten.“
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