Fatah-Chef steht vor Gericht

Die israelische Staatsanwaltschaft klagt Marwan Barghuti wegen Mordes an. Er soll zum Tod von hunderten von Menschen beigetragen haben. Doch der Angeklagte bezeichnet sich als Friedenskämpfer. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe

aus Tel Aviv SUSANNE KNAUL

Sichtlich erschöpft und seit mehreren Wochen unrasiert ist Marwan Barghuti gestern zu Beginn seines Prozesses vor dem Bezirksgericht in Tel Aviv erschienen. Die israelische Staatsanwaltschaft wirft dem 43-jährigen Chef der Fatah im Westjordanland Mord, Anstiftung zum Mord, kriminelle Konspiration sowie Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. Barghuti war Mitte April von einer militärischen Sondereinheit in Ramallah verhaftet worden. Sollte er schuldig gesprochen werde, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.

„Die ganze Welt weiß, dass ich ein Friedenskämpfer bin“, rief Barghuti auf Englisch den zahlreichen Vertretern internationaler Medien zu. „Nur Frieden wird beiden Völkern Sicherheit bringen.“ Barghuti, der enge Kontakte zu israelischen Friedensaktivisten unterhält, ist Abgeordneter im palästinensischen Parlament. Jahrelang setzte er sich für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, unterstützte jedoch den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung.

Die von Barghuti kommandierten Tansim-Milizen agierten bis zum Jahreswechsel fast ausschließlich gegen jüdische Siedler und Soldaten. Wiederholte israelische Invasionen in die Autonomiezone sowie die Hinrichtungen palästinensischer Widerstandsführer veranlassten Barghuti schließlich, den Kampf auf Israel auszuweiten. „Wenn die israelischen Soldaten in Ramallah sind, muss sich niemand wundern, dass die Palästinenser nach Tel Aviv kommen“, erklärte er in einem Interview.

Barghuti sei „indirekt für den Mord an hunderten von Israelis verantwortlich“, kommentierte Staatsanwältin Dwora Chen ihre Anklageschrift. Beschlagnahmte Dokumente bewiesen, dass der Angeklagte führende Terroristen „aktivierte und finanzierte“. Es bestehe kein Zweifel daran, dass Barghuti „aktiv an Dutzenden Terroraktionen beteiligt war“. Grundlage für die Anklageschrift seien eigene Aussagen Barghutis aus Verhören sowie die Zeugenaussagen zweier inhaftierter Fatah-Milizionäre.

Verteidiger Jawad Bulus, der im Anschluss an die etwa 20-minütige Anhörung vor die Journalisten trat, lehnt hingegen das gesamte Verfahren ab. „Wir erkennen die Zuständigkeit des Gerichts nicht an“, erklärte er seine Verteidigungsstrategie. Der Richter sei „nicht befugt, Barghuti zu verurteilen“.

Vor dem Gerichtssaal entspannte sich ein kurzes Wortgefecht zwischen der israelischen Parlamentarierin Tamar Gojanski von der antizionistischen Partei Hadasch und einem Israeli, der sie eine „Kollaborateurin“ schimpfte. Gojanski warnte vor einem „Bumerangeffekt“ der Anklage. „Die israelische Regierung will mit diesem politischen Prozess beweisen, dass es auf der palästinensischen Seite niemanden gibt, mit dem man verhandeln kann“, meinte sie. Die Strategie der Verteidigung sei hingegen, der Öffentlichkeit die „Verbrechen der 30-jährigen Besatzung vor Augen zu führen“. Der arabisch-israelische Abgeordnete Achmad Tibi meinte im Anschluss an die Anhörung sichtlich erregt: „Barghuti gehört an den Verhandlungstisch, nicht vor ein Gericht.“