Die Union wird weggespült

Das Thema Klimapolitik bringt den Kandidaten Stoiber in die Klemme. Die Ökosteuer eignet sich nicht mehr als wahlkampftaugliches Hassobjekt

aus Berlin NICK REIMER

„Wenn es noch zwei Wochen so weiterregnet, verlieren wir die Wahl.“ Sagt nicht etwa ein Unionspolitiker, sondern ein führender Grünen-Koalitionär. Eine Einschätzung, die verblüfft: So wie einst die BSE-Krise das Essen wieder zum Politikum machte, ist plötzlich das urgrüne Thema Klimapolitik in aller Munde. Selbst der CDU-Umweltexperte Peter Paziorek sieht die Wetterkapriolen mittlerweile „im Zusammenhang mit einer globalen Klimaerwärmung“.

Im Dezember sprach er freilich anders. „Die Forderung der Grünen auf Fortsetzung und Erhöhung der Ökosteuer über 2003 hinaus ist unverantwortlich.“ Im CDU-Zukunftsprogramm von 1998 aber stand: „Unser Steuer- und Abgabensystem macht gerade das teuer, was wir am dringendsten brauchen: Arbeitsplätze. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen, eher zu billig zu haben: Energie- und Rohstoffeinsatz.“

Die Union steckt in der Klemme: Galt bis gestern die Ökosteuer noch als wahlkampftaugliches Hassobjekt, so wird sie durch die Klimadebatte plötzlich in ein positives Licht gerückt. Entsprechend aufgescheucht reagiert die Union. Noch am Montag hatte der CDU-Fraktionsvize Klaus Lippold das Fehlen eines Umweltexperten in Stoibers Kompetenzteam damit begründet, dass „das Thema im Moment nicht emotionsbehaftet“ sei (siehe Interview). Gestern erklärte die CDU-Chefin Angela Merkel die Umweltpolitik zur „Chefsache“. Aus diesem Grund müsse im Team nicht extra ein Posten geschaffen werden, versuchte sich Merkel freizuschwimmen.

Jetzt fordert die CDU-Chefin zum Beispiel, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtstrommix auf 4 Prozent zu verdoppeln. Doch mit diesem Wert hatte sich bereits die Regierung geschmückt, der Merkel als Familienministerin angehörte. Ende dieses Jahres werden bereits rund 8 Prozent aus regenerativen Quellen gewonnen – darunter 3,5 Prozent aus Wasserkraft.

Und was die Chefsache betrifft: Kanzlerkandidat Stoiber hat sich eindeutig positioniert. Im Falle seines Wahlsiegs werde die Union die „bereits beschlossene Ökosteueranhebung zum 1. Januar 2003 streichen und die Ökosteuer insgesamt abschaffen“. Das geht selbst vielen Unionschristen zu weit. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos etwa sprach dagegen. Allerdings nicht aus klima-, sondern aus haushaltspolitischen Gründen: „Durch die Ökosteuer werden so gewaltige Finanzsummen verschoben, das kann man nur ganz behutsam zurückdrehen.“ Sicher sei aber, dass es unter einem Bundeskanzler Edmund Stoiber zumindest keine weiteren Erhöhungen der Ökosteuer geben werde.

Das hatte zuletzt auch die SPD in Erwägung gezogen. Allerdings fällt den Sozialdemokraten ein Zurückrudern vergleichsweise leicht. SPD-Fraktionsvize Michael Müller forderte gestern, die Ökosteuer beizubehalten. „Allerdings muss sie neu ausgestaltet werden.“ Eine Koppelung an den Rentenbeitrag sei nicht mehr nötig, stattdessen solle ein Teil der Mittel der Förderung von Umwelttechnologien zugute kommen. Das klingt ganz anders als vor Wochen. Da hatte Müller noch erklärt, die SPD werde die Ökosteuer „nicht weiter ausbauen“.

Momentan scheint es, als ob die Fluten allein den Grünen Wasser auf die Mühlen liefern. Wieso dann ihre Skepsis? Zwischen Flut und Bundestagswahl hat der Zeitplan den Nachhaltigkeitsgipfel von Johannesburg gestellt. Zehn Jahre nach Rio sucht die Welt dort nach sozialen und ökologischen „Leitplanken“ für die Globalisierung. Scheitert der Gipfel jedoch, schadet das den Roten wie den Grünen. Das aber meinte der Spitzengrüne gar nicht. Seine These: Ein verregneter Restsommer verdirbt dem Wahlvolk die Laune. Und das ist schlecht für die Regierung.