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: Raus aus grauer Städte Mauern

Rein ins Kalifornien Deutschlands

Die Sommerfrische ist ein Phänomen, das man nur aus Berichten über Paris kennt: Im Sommer sei die Stadt ausgestorben, weil ihre Bewohner der Hitze entflöhen und die warmen Monate generell auf dem Land verbrächten, wird da behauptet. Was in der Seine-Metropole gang und gäbe ist, kann auch für Spreeathener nicht verkehrt sein. Also raus aus grauer Städte Mauern, weg von Traufhöhen-Tristesse und Ozonalarm – Auf ins schöne Baden!

Dort war die Sommerfrische dieses Jahr allerdings sehr frisch, es regnete eigentlich ununterbrochen, und statt sich des Baggersee-Hoppings und Chillens am Altrhein zu freuen – schließlich wird Baden ja das Kalifornien Deutschlands genannt –, sah sich der Sommerfrischler gezwungen, Oma-Ausflüge zu unternehmen. Das geht so: Bei Nieselregen mit dem Auto stundenlang im Gebirge rumfahren, kurz aussteigen, eine Runde in Sprühregen und Hochnebel um den Mummelsee oder ums alte Schloss gehen, bei aufkommendem Unwetter sofort ins nächste Café, Kännchen Kaffee und Schwarzwälder Kirschtorte bestellen und im Bindfadenregen wieder nach Hause fahren. Abends wird der Wetterbericht studiert, Pegelstände und erwartete Liter pro Quadratmeter werden notiert. Die Wetterkarte ist mit grauen Wolken verhangen, nur oben rechts, bei Berlin, grinsen einem unverschämte Temperaturen ab 26 Grad aufwärts entgegen. Die Berliner Informanten widersprechen sich hingegen, es sei gar nicht so toll, sagen die einen, andere berichten von neuen Szene-Seen mit Plattenbautenblick in Hohenschönhausen.

Kulturell ist in der Sommerfrische wenig geboten, dafür sind die Einkaufsmöglichkeiten gut. Einheimische Frauen um die dreißig bringen ihre Freizeit aber nicht mit Aufmunterungskäufen bei H & M oder in Schuhgeschäften zu, sie sind eher bei Fliesenshows und in der Laminatabteilung der Baumärkte anzutreffen. Auch in der Provinz hat die Globalisierung zugeschlagen: Am Erländer See, zuvor ein Badesee mit Kioskbetrieb, gibt es jetzt die „Moskito-Bar“: Latte Macchiato, Finger Food und Chicken Wings zu Berlin-Mitte-Preisen statt Straßburger Wurstsalat und Vesperplatte. In Baden-Baden wiederum kann man die Auswirkungen einer überalterten Gesellschaft schön studieren. Kaum vorwärts kommt man in dem sympathischen Weltbad, ständig schlendern agile 90-Jährige in Goldsandaletten vor einem her. Bei Sonnenschein werden die Designertaschen ausgeführt und auf den Stühlen der vielen italienischen Eiscafés, zwischen blühenden Oleanderbäumen, die der Stadt ein südliches Flair geben, abgestellt. Selbst die Obdachlosen sitzen gut gelaunt und manierlich gekleidet mit originellen Jägerhüten in den gepflegten Parkanlagen und singen fröhliche Lieder.

Die Freundlichkeit der Bedienungen treibt einem das Wasser in die Augen. In Baden-Baden ist der Milchkaffee schon fast ausgetrunken und bezahlt, da hätte man in Berlin noch nicht einmal Blickkontakt aufgenommen, säße vielleicht noch in der leicht gebückten Demutshaltung am Tisch, leise winselnd: „Entschuldigung könnte ich vielleicht … bitte … ?“ Bei diesen Gedanken stellt sich dann doch ein wenig Heimweh ein, denn nach so einer Sommerfrische ist es in Berlin wieder doppelt so schön.

CHRISTIANE RÖSINGER