Ausbildung in Butter

Ein Ausnahmefall in der Ausbildungsplatzmisere: Butter-Lindner beschäftigt zu über 12 Prozent Lehrlinge. Eine Filiale gab das Familienunternehmen ganz in junge Hände. Viele Azubis legen vorzeitig die Prüfung ab und werden vom Betrieb übernommen

von GISELA SONNENBURG

Mit gekonnten Bewegungen streift Ariane Fredrich die Handschuhe über und operiert. Nicht am offenen Herzen, sondern an der losen Butter: Die muss „vom Block geklopft“, also mit dem Spachtel ins Papier gehauen werden, bevor sie an die Kunden geht. Für die 23 Jahre junge Filialleiterin mehr als eine Fingerübung: Die leckere gelbe Schmiere, von der im Sommer fünf Sorten im Angebot sind, ist das Markenzeichen von Butter-Lindner.

Doch noch etwas zeichnet das mittelständische Feinkostunternehmen aus: Während im Berliner Einzelfachhandel durchschnittlich nur jeder 14. Arbeitsplatz mit einem Auszubildenden besetzt ist, ist das bei Butter-Lindner bei jedem 8. der Fall. Jungchefin Fredrich hat in der „Jugendfiliale“ in Friedenau seit Januar sogar nur Azubis als Mitarbeiter: ein Erfolgsprojekt, denn die Youngsters geben sich motiviert und glücklich mit dem Job, und sogar der Umsatz stieg.

Auch Jan Holzweißig vom Berliner Einzelhandelsverband hält die Chance für junge Leute, sich zu beweisen, für hervorragend, denn: „Die Eigenverantwortung unterstützt das Lernen.“ Und eine gute Ausbildung sei heute wichtiger denn je. Butter-Lindner schult seine Lehrlinge denn auch zusätzlich zur Berufsschule: mit firmeneigener Theorie.

Der Jugendsekretär der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Stefan Thyroke, wäre froh, würde sich dieser Trend zum Nachwuchs durchsetzen. Allerdings weiß er: „In vielen Betrieben sieht’s leider anders aus.“ So ging die Zahl der Berliner Azubis insgesamt leicht zurück.

„Wir setzen ein Zeichen gegen Jugendarbeitslosigkeit“, kann Michael Lindner, der das Buttergeschäft in zweiter Generation führt, stolz verlautbaren. Er, dessen Vater Robert sich seit 1950 mit Butterfässern auf die Märkte stellte, bevor er 1964 das erste von heute 43 Geschäften in Berlin eröffnete, empfindet „gesellschaftliche Verantwortung“.

Seine jugendlichen Arbeitskräfte sind indes handverlesen: von rund 400 jährlichen Bewerbern erhalten nur 60 den begehrten Vertrag. Zuvor müssen sie Schreib- und Rechentests bestehen: Grundwissen, bei dem Ostdeutsche oft besser abschneiden als westliche Mitbewerber.

Der erste Tag im Leben als Lindner-Lehrling beginnt mit einer schmackhaften Tradition: einem Frühstück in der Lichterfelder Zentrale. Die internationalen Käse-, Wurst- und Süßwaren aus der Spitzenklasse entwickeln so von selbst Überzeugungskraft: Auch nach mehreren Jahren bei Lindner, sagt Ariane Fredrich, esse sie das „Katenbrot mit Kräuterrahm“ immer noch gern.

Ihr Mitarbeiter Alexander Huhn, ebenfalls 23 und aus Marzahn, steht mehr auf Pecorino, den gelben, würzigen Hartkäse, den Butter-Lindner aus einer italienischen Kommune bezieht. Huhn hat übrigens kein Problem damit, dass eine Frau seine Vorgesetzte ist. Er wollte unbedingt zu Lindner, um „etwas mit Verantwortung“ zu machen – zuvor hatte er eine Elektrolehre gemacht und fand das fad.

Jetzt hat er, dem die adrette blaue Lindner-Uniform ebenso steht wie seinen Kolleginnen, nur noch drei Monate bis zur Prüfung. „Ich bin ein Vorzieher“, sagt er und meint: Er macht, wie viele Lindner-Lehrlinge, den Abschluss zum Einzelhandelskaufmann schon nach zwei statt nach drei Jahren.

Seiner Firma will er treu bleiben, und sie übernimmt fast alle Zöglinge ins expandierende Geschäft. Schließlich will das Unternehmen von der teuren Ausbildung, für die es alle Jahre wieder von der Industrie- und Handelskammer prämiert wird, auch was haben: versierte, auf Firmenlinie gebrachte Fachkräfte.

Denn vom Bestellen der Ware übers Besorgen von Nachschub bis zu Verkostung und Präsentation erstreckt sich Lehrstoff. Dazu kommen detaillierte Kenntnisse der Lebensmittel, aber auch die verkaufsgerechte Beratung der Kunden. Darunter sind viele selbst ernannte Anspruchsvolle: 70 Prozent sind weiblich und deutlich über 30 Jahre alt. Bisher waren auch die Lehrlingsplätze zu etwa 70 Prozent weiblich besetzt. Im jüngsten Jahrgang hingegen überwiegen, angeblich auf Wunsch der Kundschaft, männliche Teilnehmer: Sex sells – auch Butter.

Die „Jugendfiliale“ befindet sich in der Rheinstraße 2 in Friedenau