Raver fliehen nach Italien

Frankreichs Politiker wollen keine spontanen Techno-Partys mehr. Doch die Szene widersetzt sich den neuen Auflagen, die einem Verbot gleichkommen. Sie zieht ins Exil

PARIS taz ■ Drei Tage haben sie auf den Autobahnen und Landstraßen in Südostfrankreich, im Web und per telefonischer Infoline Katz und Maus gespielt. Dann sind die „teufeurs“, wie sich die französischen Raver nennen, ins italienische Exil geflohen. 200 Meter jenseits der Grenze bauten sie gestern Morgen die Ersten der Boxen auf, die bis zum Sonntag die erwarteten 10- bis 30.000 Teilnehmer des „teknival“ beschallen sollen. Die abgehängte gallische Polizei rächte sich auf eigene Art. Sie sperrte die Alpenstraße D 900 – den einzigen direkten Zugang zu dem Pass. Seither müssen die teufeurs bis zu drei Stunden Umweg fahren.

Kenner der Szene wussten, dass das teknival dieses langen Augustwochenendes zum Härtetest geraten würde. Denn das Technomusik-Festival im Hochsommer, das alljährlich tausende Jugendliche auf Äcker und Berghänge irgendwo in Südfrankreich gelockt hat, ist erstmals verboten.

Eine große Koalition von rechten und linken Politikern, die den Lärm und Drogenkonsum der „wilden Partys“ sowie den anschließenden Dreck auf ihren Gemeindegebieten loswerden wollten, hat in Frankreich ein Dekret durchgesetzt, wonach Rave-Partys mit mehr als 250 Teilnehmern anmeldepflichtig sind. Wer sich nicht an diese Regel hält, muss mit der Beschlagnahmung der teuren Anlagen sowie der gerichtlichen Verfolgung der Veranstalter rechnen.

In anderen europäischen Ländern mögen die Rave-Partys größer sein. Und besser organisiert. Aber in Frankreich haben sie den Charme des von keiner Autorität kontrollierten Treffens. „Teknival“ ist für viele gleichbedeutend mit „liberté“ – Freiheit. Dementsprechend weigern sich zahlreiche Veranstalter, ihre Partys anzumelden. Eher weichen sie ins Ausland aus. Seit der Veröffentlichung des Verbotsdekretes im Mai haben sie kleinere Raves in Belgien und Luxemburg im Grenzgebiet organisiert. Freie Raves, die in offener Herausforderung der Gesetze auf französischem Territorium stattfanden, wurden hingegen geräumt.

Seit der Veröffentlichung des Verbotsdekretes sind die Vorspiele der „spontanen“ Rave-Partys noch geheimnisvoller geworden, als sie ohnehin schon waren. Auf den einschlägigen Internetseiten werden jetzt bis zuletzt nur vage Ortsangaben für die Festivals gemacht. So sollte das teknival dieses Wochenendes irgendwo zwischen Spanien, Südfrankreich und Italien stattfinden. Erst am Mittwochabend, wenige Stunden vor Beginn des Festivals, erfuhren die teufeurs, von denen viele vom anderen Ende Frankreichs und alle im Auto anreisen, wo ihre Fête steigen würde. „Fahrt von Gap in Richtung Barcelonette und dann auf der D 900 weiter in Richtung Italien“, stand im Web (z.B.: freetekno.fr), „200 Meter hinter der Grenze seid ihr angekommen!“

Während Tausende teufeurs noch im Stau standen, ließen die ersten Ankömmlinge im italienischen Grenzgebiet ihrer Wut freien Lauf. „Frankreich ist scheiße“, sprach einer von ihnen in eine französische TV-Kamera. Andere behaupteten wahrheitswidrig, dass „kein anderes europäisches Land“ so repressiv sei.

Prominente Rückendeckung erhalten die Freunde der Techno-Musik von einem Exminister für Erziehung und Kultur. Jack Lang, der vor vier Jahren die – offizielle und selbstredend angemeldete – Pariser Techno-Parade einführte, warnt jetzt aus der Opposition die rechte Regierung vor „Angriffen auf die künstlerische Freiheit“ und vor einer „Anti-Jugend-Politik“. Als Ausweg schlägt er einen „runden Tisch über Rave-Partys“ vor. Das Handicap des technofreundlichen Sozialdemokraten: das Verbotsdekret stammt noch aus den Zeiten der rot-rosa-grünen Regierung. Auch Genossen aus seiner PS haben sich dafür stark gemacht. DOROTHEA HAHN