Geld muss her. Aber woher?

Alle sind sich angesichts der Milliardenschäden über Soforthilfe einig. Ostpolitiker bezweifeln aber, ob der Solidarpakt II die richtige Geldquelle ist

aus Berlin NICK REIMER

Nordrhein-Westfalen ist bereit. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, den Solidarpakt II vorzuziehen“, erklärte gestern Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD). Thüringen ist skeptisch. „Ich will jetzt erst einmal den Kabinettsbeschluss sehen“, sagte Staatskanzleiminister Jürgen Gnauck (CDU). Schließlich seien im Moment viele Dinge nur Wahlkampf. Sachsen-Anhalt lehnt kategorisch ab: „Der Solidarpakt wurde nicht geschaffen, um die Folgen von Katastrophen zu beseitigen“, erklärte Finanzminister Karl-Heinz Paquè (FDP) der taz. Wenn das Geld jetzt vorgezogen werde, sei das „schlichtweg Zweckentfremdung“. Von „Umwidmung“ sprach auch Schröders Parteigenossin und Brandenburger Finanzministerin Dagmar Ziegler: „Die Infrastrukturlücke, für die das Geld bestimmt ist, bliebe ja bestehen.“

Um den Vorschlag des Bundeskanzlers ist heftiger Streit entbrannt. Gerhard Schröder hatte nach seinem Besuch im überfluteten Grimma erklärt: „Wir werden uns mit den Ländern überlegen müssen, wie wir Solidarpakt II vorziehen, ihn auch im Vorziehen finanzieren.“ Er wolle keine Horrorszenarien malen. Sein Eindruck aber sei, dass mit Infrastrukturschäden in Milliardenhöhe zu rechnen ist. Der Solidarpakt II im Umfang von über 150 Milliarden Euro war im letzten Jahr zwischen Bund und Ländern vereinbart worden. Er sollte von 2005 bis 2019 gelten.

Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) gab eine Vorahnung vom Geldbedarf. Die Flut der Wilden Weißeritz hatte ein Dutzend neuer Straßen vernichtet und fünf Brücken weggerissen. Roßberg bezifferte den Schaden allein dafür grob mit einem „dreistelligen Millionen-Betrag“. Von da war die Weißeritz über den gerade erst für knapp 100 Millionen Euro renovierten Hauptbahnhof hereingebrochen, um dann in der Innenstadt zu wüten. Schadensumfang? Unklar! „Das Wasser steigt! Wir haben im Moment andere Sorgen, als Zahlen zusammenzuzählen“, sagt eine Sprecherin der Stadt.

So viel jedenfalls steht fest: „Neben ganzen Orten ist ein großer Teil völlig neuer Infrastruktur vernichtet oder stark beschädigt worden“, klagt Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Über Schröders Vorschlag sei er aber „nicht ganz so froh“. Er sehe die ernsthafte Absicht Schröders, zu Lösungen zu kommen. „Diesen Vorschlag verstehe ich aber nicht unter nationaler Solidarität.“ Finanzminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte der taz: „Die Bundesregierung verkennt Sinn und Zweck des Solidarpaktes II. Aufbau Ost und Behebung von Flutschäden haben ganz unterschiedliche Ursachen, sie müssen deshalb auch unterschiedliche Maßnahmen nach sich ziehen.“ Was Sachsen brauche, seien zusätzliche Mittel und dies schnell. Sein Magdeburger Kollege Karl-Heinz Paqué bezweifelt, dass Schröders Vorschlag schnell umgesetzt werden kann. Dafür sei eine Gesetzesänderung notwendig, „die vor der Bundestagswahl nicht mehr zu realisieren ist“. Das sieht Grünen-Chef Fritz Kuhn ganz anders: Am Dienstag werde der Haushaltausschuss des Bundestages „vermutlich darüber beraten. Das Vorziehen des Solidarpaktes ist der richtige Schritt.“

Wie konkret Schröders Vorstoß ist, verriet gestern Rolf Schwanitz, der Staatsminister für den Aufbau Ost. „Die Bundesregierung ist sich völlig im Klaren, dass das, was jetzt wieder aufgebaut werden muss, weit über der Dimension der Schäden des Oderhochwassers liegt. Deswegen ist das Anknüpfen an das Bild vom Solidarpakt II völlig richtig. Es macht deutlich, das wir eine ähnliche nationale Kraftanstrengung brauchen“, sagte er der taz. Momentan aber gehe es noch nicht um Finanzierungsmodelle, sondern um Gefahrenabwehr und Soforthilfe. Schröder selbst sagte gestern: „Schon jetzt ist klar, dass nach der Flutkatastrophe ein Neubeginn des Aufbaus Ost nötig wird.“ Es sei zu prüfen, ob die Mittel für den Solidarpakt II früher mobilisiert werden „oder der Bedarf über Umschichtungen gedeckt werden kann“.

Den betroffenen Klein- und Mittelständlern kann diese Diskussion egal sein. Weger der ausgesprochen dünnen Kapitaldecke gefährden allein einige Tage Produktionsausfall die Existenz. „98 Prozent der sächsischen Wirtschaft besteht aus Klein- und Mittelbetrieben“, sagt Steffen Bemelmanns, Sprecher des Landesfinanzministeriums. Wenn die jetzt pleite gehen, bringen auch die Solidarpaktmilliarden Sachsen nicht wieder dorthin, „wo wir vor drei Tagen noch waren“.