Gerhard Schröders seltsamer Drang zum Wasser

Kein Wahlkampf mit der Flut – das sagt der Kanzler. Und trotzdem hoffen SPD und Grüne, mit dem Hochwasser gegen Stoiber zu punkten

BERLIN taz ■ „Wasserstandsmeldungen“ nennen sie im Kanzleramt die Umfragen, die für Rot-Grün seit Wochen so miserabel ausfallen. Zahlen vom Tage sind es, soll das heißen, die nichts aussagen über die Chancen, mit einem Endspurt das Duell mit Stoiber doch noch für die Koalition zu entscheiden.

Nun hat sich die Lage gedreht. Seit die Flüsse über alle Ufer treten, bestimmen die echten Wasserstandsmeldungen den Gang der Politik – und mit den Fluten, so hofft die SPD, lässt sich auch die Opposition zurückdrängen. „Jetzt ist Schluss mit Stoibers Faxen, jetzt wird regiert!“, sagt einer fast euphorisch.

Aber stimmt das? Ist das Hochwasser wirklich die Welle, die Rot-Grün über fünf Wochen hinweg zum Sieg am 22. September trägt? Was haben die Wahlkämpfer nicht schon alles probiert, erst in ihrer Hoffnung, dann in ihrer Verzweiflung: Zuerst sollte der Slogan von „Zusammenhalt und Erneuerung“ den Aufbruch bescheren, dann der „deutsche Weg“ samt Kriegsboykott und Hartz-Papier. Und jetzt ausgerechnet eine nationale Katastrophe, die Tote fordert und die Existenz von Hunderttausenden gefährdet?

Ein seltsamer Drang hin zum Wasser hat den Kanzler erfasst. Nicht nur auf Straßen und an Dämmen schreitet er auf einem schmalen Grat. Die SPD, mehr aber noch die Grünen, müssen aufpassen, dass sie das Hochwasser nicht zu offensichtlich für ihren Wahlkampf nutzen. Profiteure solcher Katastrophen sind nicht gern gesehen, und Öko-Rechthaber erst recht nicht. So sagen denn auch alle im Regierungslager, was die Wähler hören wollen: Keinen Wahlkampf mit der großen Flut! Und stürzen sich dann ins Getümmel, drängen ins Rampenlicht an den Unglücksorten und diskutieren in den Wahlkampfzentralen ihre neuen Strategien.

Oder ist es Zufall, dass der Kanzler bei seiner am Mittwoch Nachmittag kurzfristig angesetzten Pressekonferenz zu Vokabeln greift wie aus dem Lexikon des „deutschen Wegs“? Eine „große nationale Anstrengung“ brauche es, sagt Gerhard Schröder, ein „Neubeginn des Aufbaus Ost“ sei nötig, und wenn das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar werde, koste das Milliarden Euro. „Und die müssen mobilisiert werden“, sagt der Feldherr des Bundeshaushalts. Krisenstäbe eingerichtet, eine Task Force ernannt, 50 Millionen Euro „noch heute“ an Kreise und Kommunen überwiesen – wer Schröder nach der Wirkung auf die Wahl fragt, erlebt einen Abkanzler: „Sie werden vielleicht verstehen, dass für mich diese Frage wirklich nicht auftaucht“, sagt er mit bitterernster Miene, „ich habe hier eine Pflicht zu erfüllen.“

So viel staatsmännische Zurückhaltung wie der Kanzler muss sich die grüne Partei nicht auferlegen. Ihr Vorsitzender Fritz Kuhn kündigt für den Wahlkampf eine „gnadenlose Auseinandersetzung“ mit den ökologischen Defiziten der Opposition an. „Die Bundestagswahl ist eine Richtungsentscheidung über die künftige Klimaschutzpolitik“, so der grüne Parteichef.

Also weist Kuhn am Mittwoch vorsorglich noch einmal darauf hin, wer die Grünen sind: „Wir sind die einzige Partei, die seit zwanzig Jahren aktiven Klimaschutz betreibt.“ Das soll sich auch bei der Wahl auszahlen. In einer Situation, in der die Grünen von ihrem Wahlziel „acht Prozent plus x“ noch um einiges entfernt sind, kommt diese Hochwasser-Katastrophe gerade recht. Natürlich möchte die Öko-Partei nicht zynisch erscheinen. Natürlich sagt Kuhn, dass die Grünen zuallererst an die Opfer denken. Natürlich betont er, dass die Parteien im Wahlkampf nicht um das Leid der Menschen und die notwendigen Hilfsmaßnahmen konkurrieren sollten. Aber genauso selbstverständlich präsentiert Kuhn an diesem Tag ein niegelnagelneues Wahlkampfplakat seiner Partei. „Alle reden vom Klimaschutz. Wir handeln“, steht darauf.

Und wie sie handeln würden, wenn sie noch mal regieren sollten. Von einer neuen Hochwasserschutzpolitik spricht Kuhn, von Entgradigung der Flüsse, vom Schutz der Auenwälder. Nur bei der Ökosteuer hält er sich seltsam bedeckt. Die Grünen wollen sie fortführen – Schröder nicht, Hochwasser-Wahlkampf hin oder her. „Der Kanzler fürchtet nichts so sehr“, sagt ein führender Genosse, „wie eine Ökosteuer-Debatte im Wahlkampf.“

JENS KÖNIG/PATRIK SCHWARZ