Flutwelle auf Elbtour

Nach Dresden immer neue Städte von Wassermassen bedroht. Evakuierungen zehntausender vorbereitet. Chemiewerk in Tschechien überflutet. Bundeskanzler fordert angesichts der Milliardenschäden Hilfe ohne Rücksicht auf Haushaltsdefizite

BERLIN taz ■ Die Flutwelle der Elbe erweist sich als noch dramatischer als vom Katastrophenschutz befürchtet. Die Pegel sind höher, die Deiche werden länger vom Hochwasser belastet als gedacht. Zwar blieb der Chemiepark bei Bitterfeld verschont. Doch wurde nach einem Deichbruch die komplette Stadt mit ihren 16.000 Einwohnern auf eine Evakuierung vorbereitet. Auch im brandenburgischen Wittenberge sind alle 20.000 Einwohner darauf eingestellt, ihre Häuser zu verlassen.

Am Mittag erreichte der Pegelstand in Dresden eine Höhe von 8,05 Metern und überschritt damit die Schutzhöhe der Deiche. Experten rechnen mit einem weiteren Ansteigen bis auf 8,50 Meter. Die Stadt ist lahm gelegt, die Kliniken sind geräumt und zahlreiche Stadtteile evakuiert. Inzwischen mussten in Sachsen insgesamt über 20.000 Menschen ihre Häuser räumen.

Das Hochwasser hat mittlerweile neun Tote gefordert, acht weitere Menschen werden vermisst. Am Montag war der erste Helfer ums Leben gekommen, als er bei Rettungsversuchen von einem Autowrack unter Wasser gedrückt wurde.

In Tschechien sanken die Pegel in weiten Landesteilen währenddessen wieder – bis auf die Elbe in Richtung deutscher Grenze. Vor allem in der Stadt Ústí wurden immer mehr Straßen überflutet. Die Innenstadt sah aus wie Venedig, nur mit noch dreckigerem Wasser.

Dabei machen sich die Tschechen und mit ihnen die Anrainer auf der deutschen Seite der Grenze zunehmend Sorgen über Umweltschäden. Die Behörden signalisierten gestern auf alle Anfragen: „Keine Gefahr für die Bevölkerung.“ Allerdings wurde das Atomforschungszentrum in Rez nördlich von Prag teilweise überschwemmt.

Ebenfalls Opfer der Fluten wurde die Chemiefabrik „Spolana“ nahe Ústí. Dort gab es gestern nach einer Explosion Chloralarm. Außerdem liegt neben dem Werk eine jahrzehntealte Deponie mit größeren Mengen Dioxin. Auch diese Deponie steht unter Wasser. Laut den Behörden sind die Dioxin-Behälter jedoch sicher. Greenpeace-Proben vom Frühjahr zufolge ist der Boden dort auch stark mit Quecksilber belastet. Bundesumweltminister Jürgen Trittin äußerte sich gestern in Dresden besorgt über die Lage rund um die tschechische Fabrik. Er befürchtet eine massive Verunreinigung der Elbe und Gesundheitsschäden für die Bevölkerung.

Im tschechischen Decin (Tetschen) ist ein Schaulustiger beim Sprengen eines führerlosen Schiffes auf der Elbe getötet worden.

In Deutschland wird das Hochwasser zum Wochenende und in der kommenden Woche weiter steigen und auch in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Hamburg erwartet. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) rechnet mit einer besonderen Gefährdung der Region Prignitz im Westen des Bundeslandes.

Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte gestern, der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete im Osten und Süden müsse ohne Rücksicht auf eine Verschuldung der öffentlichen Haushalte schnell geregelt werden, auch wenn dabei das Maastrichter Defizitkriterium überschritten werde: „Das interessiert mich überhaupt nicht.“ Schröder schätzt die Schadenshöhe zuvor auf ein Vielfaches der beschlossenen 385 Millionen Euro Soforthilfe des Bundes.

HANNES KOCH/HEIDE PLATEN

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