„Schon lange aus der Stadt gewünscht“

Klaus Pierwoß navigiert seit acht Jahren mit Bremens dickstem Kulturdampfer – dem Bremer Theater. Ein Interview über Phantasievorräte, Absolutismus, senatorische Weihen, überzogene Leisten, kleine Juwelen, Erschöpfungssignale und die „entfesselte Produktivität“

taz: Bei der Verabredung des Gesprächs sagten Sie, dass Sie nicht zur Kulturpolitik befragt werden wollen. Warum?

Generalintendant Klaus Pierwoß: Die Brisanz der kulturpolitischen Probleme hat das Theater in den letzten Jahren oft zurücktreten lassen – so wurde meine Nebenrolle in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal zur Hauptsache. Das heißt freilich nicht, dass ich mich nicht gerne einmische. Dabei ist das Kriterium für alle meine Aktionen: Was ist gut für das Theater und die Stadt.

Das klingt so, als ob Sie selbst irgendwann Kultursenator werden wollten.

Gerüchteweise war ich mal in Berlin im Gespräch. In Bremen könnte ich mir das nicht vorstellen, da habe ich in der Politik eine zu polarisierende Wirkung. Es gibt einige, die über mein Wirken erbost sind und mich schon lange aus der Stadt gewünscht hätten.

Aber Ihr Vertrag als Theaterintendant wird doch jetzt verlängert.

Das hängt noch von den Verhandlungen ab. Zum Beispiel kommt die sogenannte Selbsterwirtschaftung der Tarifsteigerungen für mich nicht in Frage. Denn: Nicht gewährte Tarifsteigerungen sind faktisch Kürzungen des Etats. Wir sind zwar der dickste Brocken im Bremer Kulturhaushalt, aber im Verhältnis mit den Theatern in anderen Städten kriegen wir sehr wenig.

Seit acht Jahren sind Sie Generalintendant in Bremen. Ab 2004 würden Sie noch für eine weitere Spielzeit verpflichtet werden. Haben Sie noch Visionen für Theater in Bremen?

In dem Moment, in dem ich selber merke, der Phantasievorrat erliegt einer Alltagsroutine, würde ich aufhören. So wie damals in Tübingen: Als nach elf Jahren am Landestheater eine Phase von Spielplanwiederholungen einsetzte, war das ein Alarmsignal und ich bin gegangen. Aber im Moment kann ich mir für Bremen noch sehr viele Projekte vorstellen. Zum Beispiel eine Oper nach Peter Weiss‘ Text über Dantes „Göttliche Komödie“ oder auch eine Inszenierung in einem Trockendock oder auf der Weser. Eine der Lieblingsambitionen von Johann Kresnik ist, mal in der Kirche Theater zu machen.

Ich bemühe mich immer, sehr divergierende inszenatorische Temperamente zu versammeln. Wir haben in den Sparten ja keine Oberspielleiter, die mit mehreren Inszenierungen die Linie des Hauses prägen und bestimmen, was neben ihnen noch zugelassen ist.

Aber umso stärker ist dann Ihre Position.

Entscheidend ist: Das Spektrum ist dadurch weiter und spannungsreicher. Schauspieldirektoren holen sich nur in den seltensten Fällen Kontrapunkte ans Haus.

Mit einem Generalintendanten an einsamer Spitze kann erst recht Absolutismus herrschen.

Der wesentliche Unterschied ist aber, dass ich nicht selber inszeniere. Ich kann bessere Regisseure engagieren, als ich selber einer wäre.

Wie gelungen fanden Sie die vergangene Spielzeit?

Einer meiner credohaften Sätze ist, Theater zu machen, das auf den Nerv der Zeit geht. Mit den „Gerechten“, dem „Juden von Malta“, „Nathan“ und den „Gestochen scharfen Polaroids“ hatten wir Stücke, die sich hautnah auf aktuelle gesellschaftliche Prozesse bezogen haben. Auch im Musiktheater gab es – bis auf die „Zauberflöte“, die ich für nur mäßig gelungen halte – eine ungeheure Spannweite von extrem auseinandergehenden Sichtweisen. Qualitätsmäßig waren es also alles Highlights: von „Cabaret“ bis zu „Lady MacBeth aus Mzensk“

Das Programm des Musiktheaters für die kommende Spielzeit wirkt allerdings relativ konventionell, abgesehen von Batistellis Uraufführung „Der Herbst des Patriachen“.

Gerade in der Oper ist die Auseinandersetzung mit dem Repertoire wichtig. Das Programm ist ja immer nur die eine Hälfte. Die andere ist die inszenatorische Realisierung auf der Bühne. David Mouchtar-Samorai zum Beispiel ist ein ungewöhnlicher Regisseur, auf dessen „Aida“ man sehr gespannt sein kann.

Wie sehr ist hier schon die Handschrift des neuen Generalmusikdirektors Lawrence Renes zu erkennen?

Den Spielplan entwickeln wir natürlich im Team. Einer seiner Schwerpunkte ist zum Beispiel Wagner, was ich sehr gut finde.

Kommen wir zu den meist weniger beachteten Sparten: Tanz und Kinder- und Jugentheater.

Derzeit können wir uns eine schwächere Phase ja gar nicht leisten, weil aus dem kulturpolitischen Himmel sofort das Damoklesschwert auf einen herab zeigt. Insofern bin ich sehr froh, wie die Arbeit des MOKS unter Klaus Schumacher läuft. Je länger ich das beobachte, desto glücklicher bin ich über die Entscheidung für ihn. Das MOKS entwickelt sich zu einem kleinen Juwel, das völlig frei ist von allen Tümlichkeiten und Klischees, die man sonst so vom Kindertheater kennt.

Beim Tanztheater ist eine der beiden Produktionen der Spielzeit immer eine sehr starke Angelegenheit. In der Vergangenen war das das Doppelprogramm „Flut“ und „Sanguis“, davor „Every.Body“. Jetzt gibt es diese sensationelle Serie von internationalen Gastspiel-Einladungen. Ich glaube, dass sich Urs Dietrich immer mehr aus dem großen Schatten befreit, den seine Vorgängerin Susanne Linke geworfen hat, und zu seiner eigenen Ästhetik findet.

Neben dem Bunker „Valentin“ haben Sie jetzt auch die Bürgerschaft als Theaterstätte aquiriert. Wie erfolgreich war das aus Ihrer Sicht?

Der „Danton“ hat nicht die Dimension der Bunkerinszenierung erreicht, aber ich halte das für einen wichtigen Versuch, den wir gemacht haben. Es war ein großer Kraftakt, sowohl für uns als auch für die Parlamentarier und Bürgerschaftsmitarbeiter. Zumal, wenn man sich klar macht, dass das der große Meister Thierse in Bonn nicht zugelassen hat [das Festival „Theater der Welt“ hatte vergeblich beantragt, eine Parlamentssitzung im Bonner Wasserwerk nachspielen zu dürfen]. Die „Danton“-Auslastung war bei gut 80 Prozent, im Bunker sind alle 15 Vorstellungen ausverkauft.

Diese Extra-Spielorte bringen für Ihre MitarbeiterInnen ziemliche Belastungen mit sich – dazu kommt die hohe Premierenfrequenz. Auch die räumlichen Gegebenheiten am Richtweg sind logistisch nicht leicht zu bewältigen. Sind nicht längst die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht?

Sicher. Die letzten drei „Danton“-Aufführungen mussten ausfallen, weil die beiden Hauptdarsteller krank waren. Jördis Triebel konnte nicht mehr beim „Baumeister Solness“ auftreten. Diese Art der Erkrankungen kurz vor Spielzeitschluss sind sicher auch Erschöpfungs-Signale. Und die Bedingungen, die wir im Bunker haben, kann man nicht unbedingt als gesundheitsfördernd bezeichnen, um das mal sehr understatementhaft auszudrücken.

Als Intendant bin ich sehr leicht in der Gefahr, den Leisten zu überziehen, in dem ich immer noch mehr möchte. Das muss ich selbstkritisch sagen. Wobei auch meine Haltung eine Rolle spielt, dass man gegen die Kürzungsgelüste eine entfesselte Produktivität setzen muss.

Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die Ausweich-Spielzeit im ehemaligen Musicaltheater am Richtweg?

Erstmal bin ich froh, dass wir ein richtiges Theater und keine Halle als Ersatzspielstätte haben. Aber wir verfügen bei weiten nicht über die PR-Mittel, die man eigentlich braucht, um so ein Haus zu füllen. Dort gibt es 1.450 Plätze im Gegensatz zu den 994 am Goetheplatz. Der Werbeetat für das Musical lag bei 5 Millionen Euro, bei uns beträgt er für alle 25 Premieren nur 375.000 Euro.

Also: Das ist wie für einen Formel 1-Piloten, der ein neues Auto kriegt, und noch nicht genau weiß, wie das fährt.

Interview: Henning Bleyl