Der Höschenjäger ist tot

Ein Nachruf auf Paul Kullms – Deutschlands perversesten Falkner

Sein Meisterstück gelang ihm, als er einen Trottelfalken auf Getränkedosen fliegen ließ

Schon bevor er 1985 als „Höschenjäger von Nackedonien“ deutsche Sittengeschichte schrieb, hatte sich Paul Kullms als erfolgreicher Falkner einen Namen gemacht. Für den Greif, Zentralorgan der deutschen Falknerszene, gilt er sogar bis heute „als einer unserer Besten“. In einem unlängst erschienenen Kullms-Porträt heißt es: „Auch siebzehn Jahre nachdem ihm sein fataler Hang zu Damenunterwäsche ein lebenslanges Berufsverbot einbrachte, ist seine falknerische Leistung hierzulande immer noch unerreicht.“

Lange stand der 1925 in Seeven/Nordheide geborene Falkner hauptberuflich in Feuerwehrdiensten seiner Heimatstadt. 1979 ließ sich Kullms vorzeitig pensionieren, um sich ganz der Beizjagd zuzuwenden. Bald galt er auch international als die Ausnahmeerscheinung seiner Zunft. Niemand vermochte seine Wettkampf-Falken, aber auch andere Jagdvögel wie Habicht oder Milan, besser abzurichten oder „aufzustellen“, wie man in der Falknersprache sagt. Die zahllosen Preise und Auszeichnungen, die Kullms für seine Erfolge in der Kaninchen-, Bisam- oder Krähenbeiz erhielt, sind ein beredtes Zeugnis seines Talents. Auf den jährlichen Falkiaden im australischen Tootlebay, den Europäischen Greifvogel-Meetings im belgischen Brochtersflad oder den Deutschen Beizmeisterschaften in Kamp-Lintfort heimste Kullms ebenfalls nur Erste Preise ein.

Sein Meisterstück gelang ihm, als er 1981 einen Trottelfalken erstmals auf Getränkedosen fliegen ließ. Zwei Jahre später beizte der Vogel selbst in unwegsamsten Revieren jede dort abgelegte Konservenbüchse. Eine Übung, die Kullms aus triftigem Grund trainierte. Zu oft hatte der ehemalige Feuerwehrmann erlebt, dass achtlos in die Natur entsorgtes Weißblech unter dauerhafter Sonneneinstrahlung wie ein Brennglas gewirkt und manchen Waldbrand verursacht hatte. Sein falknerischer Sensationserfolg bescherte Paul Kullms etliche lukrative Aufträge. Weltweit wurde er angefordert, um seine Trottelfalken in brandgefährdeten Revieren Blechdosen beizen zu lassen. Noch aufsehenerregender jedoch war die „Müllabfuhr“, die er 1983 am Südturm des World Trade Centers erledigte. Hier gelang es ihm, seinen Falken ein altes Präservativ apportieren zu lassen, das sich an einem Fassadenzacken im 53. Stockwerk so unglücklich verfangen hatte, dass es die Fenster-Aussicht eines Büros sehr unappetitlich störte. Die Fernsehbilder von dieser sensationellen „Entsorgung“ gingen damals um die Welt.

Eine falknerische Höchstleistung war es allerdings auch, die im Sommer 1985 Kullms jähen Absturz zur Folge hatte. Auf dem nahe Seeven gelegenen Freigelände eines Hamburger Nudistenclubs, der von den Einheimischen „Nackedonien“ genannt wurde, war wiederholt eine Silbermöwe beobachtet worden, wie sie sich, so Augenzeugen, „scheinbar gezielt“ auf die von den Nackten abgelegte Wäsche stürzte. Innerhalb einer Woche konnte sie zwei Herren- und fünf Damenslips erbeuten. Die Seevener Polizei, von den Nudisten alarmiert, bat ihrerseits den Vogel-Fachmann Kullms um Hilfe; dass man damit freilich den „Bock zum Gärtner“ gemacht hatte, wie es das Seevener Tageblatt später formulierte, konnte da noch niemand ahnen. Die Wäscheattacken der Möwe hielten jedenfalls an. Dazu wurden etliche weitere Angriffe auf Wäscheleinen der Umgebung gemeldet.

Umso größer die Überraschung, als man bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle eine Silbermöwe in Kullms’ Kofferraum entdeckte. Nach dem Vogel befragt, verstrickte sich der Falkner nervös in Widersprüche. Eine darauf anberaumte Haussuchung löste schließlich den Fall. Insgesamt 52 Wäschestücke jeder Form und Couleur hatte sich Kullms von der diebischen Möwe beizen lassen. Der Vogel war eigens von ihm aufgestellt worden, um seine „schlüpfrige“ Neigung zu bedienen. Die Boulevardpresse suhlte sich damals tagelang in pikanten Details über die Jagdleidenschaft des „pfiffigen Sittenstrolchs“ (Bild) und „Höschenjägers von Nackedonien“ (Harburger Morgenpost), nannte ihn „Schlüpferstürmer“ (Zeit) und „Deutschlands perversesten Falkner“ (Quick). Die internationale Fachpresse hingegen war begeistert: Die Aufstellung einer Silbermöwe war vor Kullms noch keinem Beizjäger gelungen.

Paul Kullms wurde wegen heimtückischen Diebstahls und Verstoßes gegen das Tierhaltungsgesetz zwar nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Jeglicher Umgang aber mit Tieren wurde ihm auf Lebenszeit untersagt. Der „Schmuddelfalkner“ (Kieler Express) lebte seitdem zurückgezogen in seinem Haus in Seeven. Am 2. August 2002 ist er dort beim Reinigen einer Regentonne unglücklich in diese hineingerutscht und ertrunken.

FRITZ TIETZ