Dresden – Stadt im Fluss

Elbflut erreicht höchsten Stand sei 500 Jahren. Dresdner Altstadt unter Wasser. 30.000 Einwohner evakuiert. Elbabwärts befürchten weitere Orte Dammbrüche und Überflutungen. Bundeskanzler beruft europäischen Hochwasser-Gipfel ein

BERLIN taz ■ Noch nie war ein Hochwasser in Dresden höher in den vergangenen 500 Jahren. Im Laufe des gestrigen Nachmittags stieg die Elbe auf einen Pegelstand von 9,20 Metern – 7,20 Meter über normal. Rund 30.000 Leute mussten ihre Häuser verlassen, die bereits im Wasser standen oder bedroht waren. Die aufwändig restaurierte barocke Semperoper am Ufer der Elbe wurde „aufgegeben“ – ein weiterer Schutz des Gebäudes war nicht mehr möglich.

Nach Schätzungen von Dresdens FDP-Bürgermeister Ingolf Roßberg belaufen sich allein die dortigen Schäden auf dreistellige Millionenbeträge. 6.000 Soldaten der Bundeswehr waren gestern in den Hochwassergebieten im Einsatz. In Mecklenburg-Vorpommern rückten mehr als 1.000 Bundeswehrangehörige aus Baden-Württemberg mit schweren Fahrzeugen ein, um die Deiche der Elbe zu erhöhen. 50 Zentimeter fehlten, um die Flutwelle, die weiter nach Norden spült, im Flussbett zu halten.

Im südbrandenburgischen Städtchen Mühlberg, wo das Wasser der Elbe schon fast über den Deich floss, wurden 5.000 Menschen evakuiert. 150 Einwohner weigerten sich zu gehen. Die Polizei setzte ihnen eine letzte Frist. Die war im sächsischen Landkreis Riesa-Großenhain bereits gestern Vormittag abgelaufen: Polizeibeamte holten die 450 Personen aus ihren Häusern, die nicht weichen wollten. In den leeren Ortschaften patrouillieren hunderte Polizisten, um Diebstähle zu verhindern. In Ostsachsen waren zeitweise 40.000 Menschen ohne Strom, weil Umspannstationen durch Kurzschlüsse lahm gelegt waren. Die Stadtverwaltung von Rostock bot 1.000 Wohnungen an, in die sich die Opfer der Flut flüchten könnten, wenn sie wollten. Einige Gegenden sind knapp am Äußersten vorbeigeschrammt. Pirna in Sachsen wurde nicht überflutet, die Evakuierung von 30.000 Menschen wurde abgebrochen.

Als Konsequenz aus den Überflutungen forderte Sachsens Bischof Volker Kreß, auf jeglichen weiteren Ausbau der Elbe zu verzichten. An verschiedenen Stellen, unter anderem nördlich von Hamburg, soll das Fahrwasser tiefer werden, plant unter anderem die Hamburger Mitte-rechts-Regierung.

Unterdessen hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für Sonntag zum „mitteleuropäischen Hochwasser-Gipfel“ nach Berlin eingeladen. Die Einladung ging an die Regierungen von Tschechien und Österreich, die Europäische Union und die betroffenen Bundesländer. Schröders Absicht ist es, die wahrscheinlich notwendigen Hilfen in Höhe von einigen Milliarden Euro so zu organisieren, dass daraus kein Konflikt mit Brüssel entsteht.

Die deutsche Staatsverschuldung liegt mit knapp 3 Prozent des Inlandsprodukts schon jetzt an der Grenze dessen, was nach dem europäischen Vertrag von Maastricht erlaubt ist. Etwas Gutes könnte das ganze Wasser aber doch noch haben: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert, dass es der ostdeutschen Bauwirtschaft durch den Wiederaufbau deutlich besser gehen werde.

HANNES KOCH

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