berliner szenen Landunter rund um Berlin

Ein Mauerfall

Kein Wasser, nirgends. Einen Liter soll man vor dem Benutzen aus dem Hahn laufen lassen, sagt der Monteur, weil die alten Bleirohre voll mit Schadstoffen sind. Im Fernsehen laufen derweil einige Milliarden Liter Wasser aus Elbe und Mulde über die Dämme. Dazu alle paar Minuten mehr Katastrophennews: Pirna ist nur noch mit Booten befahrbar, Bitterfeld wurde aufgegeben, bei Dessau pumpt das Technische Hilfswerk schon gewaltig. In Dresden haben die Leute sich Wasservorräte gekauft, weil sie Angst vor dem Quecksilber haben, das von Tschechien aus in ihre Wohnviertel geschwemmt worden sein soll. Jetzt sind Torgau und Wittenberg dran, demnächst wohl auch Magdeburg. Dort standen die Wiesen schon am Freitag bedenklich tief unter Wasser, als der ICE auf dem Weg nach Berlin über die Elbe fuhr.

Alles scheint möglich. Wenn sich das Wasser in diesem Tempo weiter elbabwärts bewegt, wird Berlin irgendwann vom Verkehr abgeschnitten sein, zumindest ist der Westen dann nur noch mit Mühen zu erreichen. Damit könnte wahr werden, was zwischen 61 und 89 bei vielen Frontstädtern im Kopf herumspukte: Dass die deutsch-deutsche Grenze im Ernstfall dichtgemacht wird, dass Honecker alle Transitwege sperren lässt, und dass West-Berlin am Ende doch nur eine Insel hinter Mauern ist. Dafür war es in all diesen Jahren aber immer eine trockene Insel, von einem 160 Kilometer langen und 3,5 Meter hohen antifaschistischen Schutzwall umgeben. Joseph Beuys wollte das Bollwerk sogar noch 3 bis 5 Zentimeter höher haben, aus ästhetischen Gründen. Bei den derzeitigen Wassermassen wären das ein paar Stunden Zeitgewinn gewesen. In Dresden, Pirna und Bitterfeld haben sie schmerzlich gefehlt. HARALD FRICKE