Das schlechte Spiel

Hertha-Trainer Huub Stevens sagt nach dem 1:1 gegen den VfB Stuttgart und seinem Heim-Debüt die halbe Wahrheit

BERLIN taz ■ Oft fallen die Äußerungen von Huub Stevens durch eine gewisse Offenheit in der Interpretation auf. Sie sind meist keine logischen Meisterwerke, die messerscharf auf den Punkt führen. Häufig folgt ihnen ein Sowohl-als-auch und ein Andererseits. Oder aber Stevens schiebt nach: „Ihr wisst doch, wie ich es meine.“ Dieser eine Satz freilich, am Samstagnachmittag gesprochen im Bauch des Berliner Olympiastadion, konnte getrost so stehen bleiben. Sein Wahrheitsgehalt erreichte ein Niveau, das Hermeneutiker zur Verzweiflung hätte treiben können: „Hertha BSC hat heute schlecht gespielt.“ Das war jedem der 49.200 Zuschauer im vom Umbau schwer zerklüfteten Oval aufgegangen, spätestens nach Ablauf der zweiten Halbzeit, die Stevens mit dem Attribut „verschlafen“ bekleidete.

Mit dem Satz vom schlechten Spiel hätte es Stevens bewenden lassen können, denn wie sagte der Holländer ein wenig später: „Das nächste Spiel ist immer das schwierigste.“ Was interessiert da der dröge Kick von Gestern, wenn, ja wenn nicht die bohrenden Fragen nach der Ursache dieses schlechten Spiels gewesen wären.

Dabei lagen die Gründe so offen wie ein aufgeschlagenes Buch. Herthas Spieler klammerten sich an ihre Positionen des 3-4-3-Systems, als müssten sie eine kriegsentscheidende Stellung halten. An kurzer Leine angepflockt, entwickelte das Spiel der Berliner eine Statik, die die Baufirma Walther, welche die Umgestaltung des Stadions vorantreibt, erfreut hätte, die hitzegeplagten Zuschauer aber in schwerer Lähmung zurückließ. Obendrein stand der VfB Stuttgart in entschlossener Verteidigungspose, sodass, wie Stevens anführte, der erste Pass nicht wie gewünscht steil, sondern nur quer gespielt werden konnte. „Da hatte Stuttgart alle Zeit der Welt, sich zu formieren.“ Überdies hätte seine Mannschaft zu viel in die Mitte gedrängt.

Die Außenbahnen wurden tatsächlich gemieden, als lauerten an den Spielfeldrändern tückische Fallgruben auf die Flankenläufer. Gröbere Konditionsarbeit wurde vermieden, indem der Ball gleich vom defensiven Mittelfeld mittels Pass in den Sturm geschickt wurde mit der zweifelhaften Botschaft, er möge seinen Flug nicht ganz umsonst nehmen. Mittelfeldmotor Marcelinho schaute dem Treiben meist ohnmächtig zu und versuchte, fast bis zu Torwart Kiraly absinkend, sich die Bälle auf den Fuß zu holen.

Die Lage verschlimmerte sich mit dem Führungstreffer der Stuttgarter in der 14. Minute (Sean Dundee aus Nahdistanz), weil die Gäste nun alle Kräfte auf die Errichtung eines Abwehrwalles verwenden konnten, den Hertha BSC erst in der zweiten Hälfte nahm. Stevens schickte zur Erstürmung Weltmeister Luizão auf den Platz (70.), doch Neonational- und Abwehrspieler Arne Friedrich machte das Tor per Flachschuss aus 20 Metern. Luizão hatte vorgelegt – seine erste gute Tat im Hertha-Trikot.

„Wir haben in der zweiten Halbzeit großes Risiko genommen“, sagte Stevens, „da haben wir Mann gegen Mann gespielt, das war gefährlich.“ So groß kann das Risiko nicht gewesen sein, denn laut Manager Dieter Hoeneß war keiner aus der gegen Spielende vier Mann starken Sturmabteilung der beste Hertha-Profi des Nachmittags, sondern Torschütze Friedrich, den die Nominierung durch Teamchef Rudi Völler überrascht hat.

„Es geht alles ein bisschen schnell“, sagte der schüchterne Jungprofi, „ich glaube, dass man nach einem Spiel noch kein Nationalspieler ist.“ Völler sieht das offenbar anders, was Stevens nicht recht sein kann. Er sieht Friedrich „noch ganz unten“. Durch den Wirbel, der um die Nominierung entstanden ist, sei ein wenig Unruhe in die Mannschaft gekommen.

Nicht nur Arne Friedrich reist mit der Auswahl, auch Luizão lässt sich in der kommenden Woche entschuldigen. „Das wirft ihn wieder zurück“, ärgerte sich Huub Stevens, um dann wieder einen seiner Sätze zu sagen, die eine charmante Schummelei sind: „Das Ergebnis ist für mich nicht wichtig, ich will nur ordentlichen Fußball sehen.“ Wir wissen, wie er das meint.

MARKUS VÖLKER