Die jungen Profis sind müde

Bayer Leverkusen beginnt furios, schießt ein Tor, passt sich dann aber dem Niveau von Borussia Dortmund an und muss den Ausgleich des schon zu Saisonbeginn ausgelaugten Meisters hinnehmen

aus Leverkusen ULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Früher war alles anders, selbst in Leverkusen. Als Reiner Calmund noch als Leiter der Nachwuchsschulung bei Bayer 04 arbeitete und ein vollbärtiger Recke namens Thomas Hörster die Fußballelf als Kapitän auf den Rasen führte, da passierte es manchmal, dass Borussia Dortmund hier Spiele gewann. Das aber ist weit über ein Jahrzehnt her. Heute kauft Calmund den Nachwuchs in Brasilien, ein zwei Meter großer Stofflöwe bringt die Teams aufs Feld – und der BVB ist selbst als Deutscher Meister schon froh, wenn er nicht an die Raubtiere verfüttert wird.

„Wenn ich unsere Vergangenheit hier in Leverkusen betrachte“, sagte dann auch Dortmunds Trainer Matthias Sammer nach dem 1:1 im Spitzenspiel der Bundesliga, „bin ich insgesamt mit dem Punkt zufrieden.“ Zu diesem Urteil verleiteten ihn vor allem knapp dreißig brillante Bayer-Minuten der ersten Halbzeit. Denn Bayer 04 legte furios los und die Partie war nur deshalb nicht schon früh entschieden, weil außer Diego Placente beim verdienten Führungstor (23.) die Leverkusener Oliver Neuville, Jan Simak und Dimitar Berbatow am Schicksal, am Dortmunder Torwart Jens Lehmann oder an sich selbst scheiterten. In dieser Phase, meinte Sammer, hätten die Gastgeber „überragend“ gespielt, und deren Trainer Klaus Toppmöller erklärte gar, er sei „stolz darauf“, dass man bei seiner jungen und neu zusammengestellten Mannschaft im Vergleich zur letzten Saison „kaum einen Leistungsabfall im spielerischen Bereich“ gesehen habe.

Nun waren diese Analysen einerseits alle zutreffend, andererseits liegt auch bei Bundesligabegegnungen in Leverkusen die Wahrheit auf dem Platz. Und sie sagte, dass an diesem Nachmittag lange Zeit Borussia Dortmund so träge und statisch war wie Bayer flink und flexibel. „Bei uns herrschte hinten ein heilloses Durcheinander, und jeder stand Mann gegen Mann“, sagte etwa Dortmunds Verteidiger Christoph Metzelder, „bis dann Ahmed Madouni eingewechselt wurde.“ Der junge Franzose kam nach einer halben Stunde für den angeschlagenen Dede und der BVB jetzt langsam ins Spiel. Die Borussen standen mit einer Viererkette in der Defensive besser, und in der Offensive kam es ihnen zugute, dass Bayers Bernd Schneider und Simak im Spiel nach vorne gute Momente hatten, dafür aber in der Rückwärtsbewegung manchmal unkonzentriert wirkten, vor allem dann, als in der rheinischen Hitze die Beine schwer wurden. Und auch das war früher irgendwie anders.

Spieler wie Thomas Hörster waren entweder verletzt oder fit, aber nie müde. Heute stolpert man schon nach dem zweiten Spieltag an jeder Ecke über junge Männer, die auf dem letzten Loch pfeifen. „Vor einer Woche hatte ich nach einer Stunde Krämpfe, heute schon zu Beginn Schwierigkeiten“, sagte Metzelder, der mit einer schmutzigen Handbandage und blutbefleckter Hose aussah wie ein Nebendarsteller aus dem „Ali“-Film. Sein Kollege Lehmann meinte trotz seiner guten Leistung: „Ich brauche jede Trainingseinheit, um körperlich in Form zu kommen.“ Wenige Meter weiter flüsterte zur selben Zeit Jan Simak, dass „das Spiel viel schneller ist als früher in Hannover“, während Bernd Schneider erklärte, vielen Spielern fehle noch „Spritzigkeit und Frische“.

Dass „speziell bei den Nationalspielern die Kraft nachließ“, war auch für Toppmöller einer der Gründe, aus denen Bayer 04 nach dem Ausgleichstor durch Jan Koller (60.) plötzlich eine Niederlage fürchten musste, als der BVB das Mittelfeld wiederholt von Gegenspielern verlassen vorfand. Trotzdem ist es auch in den Zeiten der durch Terminhatz erschöpften Helden nicht einfach so, dass Dortmund und Leverkusen mit ihren jeweiligen Fußball-Entwürfen allein an den Umständen scheitern.

Borussias von Geistesblitzen lebender Stil hängt weiterhin zu sehr an der Tagesform der Schlüsselspieler; Bayers anspruchsvollem „Miles & More“-Fußball fehlt noch immer der Bonus eines Vollstreckers. Deshalb blickten beide Trainer schon bald nach dem Abpfiff lieber nach vorne denn zurück. Sammer sieht „noch viel Arbeit“ vor sich, um „Konstanz zu bekommen“, während sein Kollege auf den neuen südamerikanischen Torjäger wartet.

„Franca hat per Fax verlauten lassen, dass er gegen Bochum spielen will“, sagte Toppmöller. Dann musste der Mann, der seine 70er-Jahre-Frisur fast knitterfrei ins neue Jahrhundert gerettet hat, über diesen Satz selbst lachen. „So sind die Brasilianer, der Matthias kennt das“, und dachte vielleicht: Auch das hätte es früher nicht gegeben.

Bayer Leverkusen: Butt - Zivkovic, Juan, Lucio, Placente - Ramelow - Schneider, Bastürk, Simak - Neuville (68. Bierofka), Berbatow (73. Brdaric)Dortmund: Lehmann - Evanilson, Heinrich, Metzelder, Dede (26. Madouni) - Frings (87. Oliseh), Kehl - Rosicky - Ewerthon, Koller, Addo (75. Odonkor) Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Placente (23.), 1:1 Koller (60.)