Peter Strieder hat Visionen

Mit zwölf Thesen will der Senator und SPD-Landeschef Berlin zukunftsfähig machen. Für die Grünen ist das richtig, aber erst mal nur Papier. FDP: Sonntagsrede. Und für die CDU kommt alles zu spät

von STEFAN ALBERTI

Peter Strieder packt seine Gedanken gerne in Thesenpapiere. „Überschriften finden“ für Politik nennt das der Stadtentwicklungssenator und Berliner SPD-Chef. Das hat er im April mit Vorstellungen zur Hauptstadt-SPD gemacht, das macht er nun mit „Zwölf Thesen zur zukunftsfähigen Metropolenpolitik“. Damals wie heute ist die Reaktion auf seine Überlegungen gespalten. Im Prinzip viel Richtiges, aber wahrscheinlich nur eine weitere folgenlose Ankündigung Strieders, heißt es bei den Grünen, „Sonntagsrede“ urteilt die FDP.

Ob diese Zusammenstellung von Gedanken, teils schon seit Januar im Koalitionsvertrag nachzulesen, endlich die Visionen seien, deren Fehlen Rot-Rot vorgeworfen wurde? Einen gesellschaftspolitischen Anstoß zur Stadt habe er geben wollen, sagt Strieder, eine Diskussion anstoßen in der politisch interessierten Öffentlichkeit. „Ich würde für mich nicht in Anspruch nehmen, ein Visionär zu sein.“ Angesichts der Finanzkrise will er bürgerschaftliches Engagement jenseit des Staats ernster nehmen, Ressourcen anders verteilen.

„Wie viel Bedeutung Berlin in Europa erlangt, hängt von der Politik ab – in Berlin!“, schreibt Strieder nach sechs Jahren als Stadtentwicklungssenator. „Da legt er seine Thesen reichlich spät vor“, mosert CDU-Fraktionschef Frank Steffel. Der hatte sich im März gegen Sparpolitik ohne Vision und gegen ein Kaputtreden der Stadt gewehrt. Jetzt hält es PDS-Landeschef Stefan Liebich für „total vernünftig“, dass sich der Koalitionspartner nicht nur übers Sparen, sondern auch über die Zukunft der Stadt Gedanken mache.

Ein Netzwerk der europäischen Städte wünscht sich Strieder und will ausnutzen, dass Berlin, London, Paris, Wien, Barcelona, Lyon sozialdemokratische Führungen haben. Von einem Treffen mit dortigen Kollegen in London hat er schon im Juni bei einem Parteiabend geschwärmt.

In solchen Passagen des Papiers drängt der SPD-Chef in ihm den Senator in den Hintergrund. Er hat seine beiden Funktionen nicht trennen wollen, hätte das für scheinheilig gehalten – „die Leute wissen doch sowieso, dass ich beides bin“. FDP-Vizefraktionschef Alexander Ritzmann sieht das anders: Gebe hier der SPD-Landesvorsitzende dem Regierenden Bürgermeister eine neue Linie vor? Senatssprecher Michael Donnermeyer winkt ab: Klaus Wowereit habe von dem Papier gewusst, das Strieder im Urlaub schrieb.

Strieder, Chef einer Vorschriften produzierenden und kontrollierenden Behörde, kritisiert auch „deutsche Vorschriftengläubigkeit“ – die soll Berlin, die internationale Stadt, nicht an Experimenten hindern. Das klingt wieder nach Steffel, der im Parlament feststellte: „Berlin ist nicht die Stadt der Buchhalter, sondern die Stadt der Pioniere, der Förderer, der Gründer“

Brücke zwischen West und Ost soll Berlin zudem sein, eine Berlinrede von ausländischen Staatschefs soll es jährlich geben, denkt Strieder vor, ausländische Studenten sollen günstig bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften unterkommen können.

Lisa Paus, Europaexpertin der Grünen, entlockt das nur ein müdes Lächeln. So etwas habe Strieder schon mal angekündigt, nichts sei daraus geworden. Viel zu spät kümmere sich der Senat um Internationalität. „Es geht dabei für Berlin nicht mehr um einen Logenplatz, sondern darum, dass wir überhaupt noch einen Platz im Stadion bekommen“, sagt Paus. Die zentralen Problemfelder seien längst schon auf Papier festgelegt, im Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS. „Aber seitdem ist nichts passiert, es herrscht europapolitisches Vakuum“, sagt Paus. Von der zuständigen Europastaatssekretärin – sie will morgen ihren Bericht vorlegen – sei nichts zu hören.

Klein-klein nennt Strieder diese Kritik. Nicht an ihm liege es etwa, wenn das Studentenwerk seine Anregung für günstigen Wohnraum nicht aufgegriffen habe. Er will die Diskussion nicht institutionalisieren, jetzt Reaktionen abwarten und sehen „ob es Leute gibt, die diese Thesen aufgreifen und weitertragen.“