Ein echter Glücksfall

Als erfahrener Katastrophentourist im Hochwassergebiet unterwegs

Das einzig Negative bei so einer Flutkatastrophe sind natürlich die Bewohner, die stören

Das ist ja wirklich herrlich jetzt, diese Überschwemmungen. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinfahren soll. Ich bin ja immer dabei. Sobald irgendwo was passsiert, ich fahr hin! Das ist nicht einfach, meist kriegt man gar nicht so schnell Urlaub, wie das Wasser steigt.

Aber dieses Jahr ist das große Klasse, mitten in der Urlaubszeit. Mit Vorhersagen, wann das Wasser wo wie hoch stehen wird. Da kannst du heute schon planen, wann du in Wittenberge oder wo auch immer sein musst. Ich hatte Donnerstag schon meine Katastrophenbesuchstour für das Wochenende komplett ausgearbeitet. Und alles vor der Haustür, du musst nicht extra bis Polen oder so. Samstagabend nach der „Sportschau“ bin ich dann los, und ich wurde in der ARD noch umfassend informiert und auf meine Reise vorbereitet. Es lief der Radeberger Werbespot, gedreht in Dresden in der Semper-Oper, eine lange Kamerafahrt durch trockene Räume, und das unmittelbar vor der Übertragung der Flutkatatstrophenberichte mit der überfluteten Semper-Oper! Gut, Bitterfeld, dafür war ich um die Zeit eigentlich zu spät, aber ich wollte auch gar nicht richtig hin, ich hatte wirklich Bedenken, wegen der Chemie und so. Ich mein, wenn ich schon gucken komm, da will ich ja nicht, dass mir was passiert.

Dresden hätt ich gern geschafft, aber da war mein Auto noch in der Werkstatt, und du kamst mit dem Zug ja nicht mehr in den Bahnhof rein.

Mal ganz grundsätzlich: Wo die meisten Leute stehen, da sind die Kamerateams, und die haben oft die besten Plätze. Überhaupt, wenn du einen guten Platz hast und musst aber Platz machen für die Rettungsdienste, da stellt sich sofort ein anderer auf deinen Platz! Und das ist ’ne Sauerei. Viele haben da im Angesicht der Katastrophe keinen Anstand. Bisschen drängeln musst du dann schon.

Ein Kumpel von mir, der ist schon seit Tagen vor Ort und telefoniert mir immer das Neuste durch und hat sich sogar schon zweimal vom Dach retten lassen. Und wenn du dann Glück hast, wirst du gefilmt und kommst in die Nachrichten. Ich hab jetzt schon insgesamt so elf Sendeminuten innerhalb von sieben Jahren, einmal sogar mit Interview in der überfluteten Kölner Altstadt, so was sind natürlich Höhepunkte für den Fan. Da kannst du Jahre von erzählen.

Und dies Jahr interessieren sich ja alle. Egal wo du hinkommst, Schröder war schon da. Oder Stoiber kommt gerade. Oder Schily landet fünf Minuten nach dir. Ich warte nur noch auf Möllemann, dass der mit Fallschirm zum Sandsackfüllen einschwebt.

Toll finde ich auch diese GSG-9-Einlagen, wenn die sich abseilen und treibende Schiffe kurz vor dem Brückenpfeiler sprengen. Also, das ist ja total neu, das gab es noch nie, das muss ich unbedingt live sehen.

Das einzig Negative bei so einer Flutkatastrophe sind natürlich die Bewohner, die stören oft. Ich meine, die kennen die Gegend doch schon, müssen die da auch noch rumstehen? Ist ja auch irgendwie pervers zuzusehen, wie das eigene Haus voll läuft. Und die sind schon sehr emotional dabei. Das Glotzen sollten die lieber Leuten wie mir überlassen, ich hab da einfach mehr Abstand. Ich hab Routine – und außerdem, schließlich bin ich Gast!

Überhaupt, fremdenverkehrstechnisch ist so eine Katastrophe ja ein echter Glücksfall. Da kommen Orte ins Fernsehen, die findest du sonst im Autoatlas nicht. Gut, ein paar, wie jetzt Wesenstein, sind quasi von der Landkarte verschwunden. Aber für den Sachsen als solchen ist diese Flut doch ein Glücksfall. Endlich macht sich keiner mehr über den Dialekt lustig, im Gegenteil, das Sächsische bekommt eine Sendeminute nach der anderen.

So Reisen sind natürlich teuer. Da ist die Trinkwasserknappheit ganz gut. Ich war gestern bei Lidl, da hab ich ein paar Kisten Minderalwasser gekauft, die verkauf ich vor Ort. Im Becher. Mit Aufschlag. Damit finanzier ich die Reise.

Und – eine Katastrophe bildet. Ich war noch nie an der Mulde, ich wusste gar nicht, dass es die gibt. Ich seh das schon vor mir, demnächst bei Jauch: Wie heißt der Fluss, der neulich Hochwasser führte: Kuhle? Senke? Furche? Oder Mulde?

Am Dienstag, da will ich zum Sonnenaufgang in Madgeburg sein. Dann guck ich mir an, wie das Wasser kommt und dann wird gefilmt, aber was die Kassette hergibt. Und vielleicht sehen wir uns – in der „Tagesschau“. BERND GIESEKING