Jetzt muss der Westen verzichten

Um die Milliarden für die Behebung der Flutschäden zusammenzubekommen denkt die Bundesregierung über Umstrukturierungen im Haushalt nach

aus Berlin HANNES KOCH

Wer überlegt, wie viel Geld das Hochwasser im Endeffekt kostet, könnte mit seinen Berechnungen im Erzgebirgsstädtchen Flöha beginnen. Dort wurden an öffentlicher Infrastruktur vom gleichnamigen Fluss zerstört: das Gymnasium, die Berufsschule, mehrere Brücken, die meisten Straßen. Die grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau schätzt den Schaden auf „100 Millionen Euro“ – ohne die Kosten für den Wiederaufbau der Privathäuser und Firmen.

Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt wartete gestern mit einer ersten Schadensschätzung auf: 5 Milliarden Euro braucht demnach das südöstliche Bundesland, um über die verheerende Flut hinwegzukommen. Und die Allianz-Versicherung hat schon mal angedeutet, auf welche Gesamtsumme sich die Reparaturen addieren könnten. Bis zu 15 Milliarden Euro kamen zusammen.

Um solche Zahlen ging es gestern Nachmittag, als das rot-grüne Bundeskabinett in Berlin zusammentrat. Bundeskanzler Gerhard Schröder und diverse Minister hatten schon in den vergangenen Tagen „schnelle und effektive Hilfe“ versprochen – nun geht es darum, das Geld dafür einzusammeln.

Legt man die von der Allianz skizzierte Schadensumme zugrunde und zieht von ihr die privatversicherten Schäden ab, könnten auf die öffentlichen Haushalten bis zu 10 Milliarden Euro zukommen – will man die Leute, die ihre Häuser und Betriebe verloren haben, nicht im Regen stehen lassen.

Ein Teil der Summe wird aus den Strukturfonds der Europäischen Union kommen – wie viel genau, blieb gestern jedoch weiterhin unklar. Das Problem von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) ist nun, dass jeder Euro aus Brüssel mit einer bestimmten Summe aus nationalen Mitteln gegenfinanziert werden muss. Nachdem zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium gestern rege telefoniert wurde, sieht die wahrscheinlichste Lösung so aus: Alle Ministerien kratzen aus ihren Etats die Mittel heraus, die dieses und nächstes Jahr nicht unbedingt gebraucht werden.

Dafür kursierte der Begriff „Umprofilierung“. Ein Beispiel: Die Verbreiterung der Autobahn A 1 in Nordrhein-Westfalen wird einstweilen gestoppt und das Geld umgeleitet, um eine zerstörte Bundesstraße bei Flöha zu erneuern. Jedes Bundesministerium könnte ähnlich verfahren. CDU-Finanzexperte Dietrich Austermann hat angemerkt, dass auch die Bundeswehr – trotz ihres großen Hochwasserseinsatzes – rund 200 Millionen Euro übrig hat, die sie in den Auslandseinsätzen dieses Jahres nicht verbrauchte.

Und auch die Deutsche Bahn AG müsste ähnlich verfahren: Strecken in den nicht vom Hochwasser betroffenen Bundesländern werden vorerst nicht modernisiert, damit das Geld für Bayern und Sachsen zur Verfügung steht.

Welche Summen so freiwerden, war bis Redaktionsschluss nicht klar. Andere Finanzierungsmodelle, so schien es, hatten aber keine großen Chancen. Im Gespräch war allenfalls noch die von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erwähnte Bundesanleihe mit niedrigem Zinssatz. Doch auch dabei besteht das Problem: Der Bundeshaushalt würde möglicherweise die Defizitgrenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten und in Konflikt mit dem Europäischen Vertrag von Maastricht geraten. Darauf aber wollen sich weder Regierung noch Opposition einlassen: Sowohl Schröder und die Grünen als auch die Union betrachten die Verschuldungsgrenze als sakrosankt.

Auch eine Hochwasserabgabe aller Bundesbürger wurde bei Rot-Grün im Wesentlichen verworfen. Zwang gehe „nach hinten los“, argumentierte die grüne Finanzexpertin Christine Scheel. Die PDS schlug hingegen einen Pflichtbeitrag vor, den alle zahlen sollten, die über 500.000 Euro Vermögen besäßen.

Die Linie von Rot-Grün ist damit klar – vorerst. Demnächst aber wird weiterverhandelt. Einer, der sich schon mal Gedanken machte, war gestern Verteidigungsminister Peter Struck (SPD): „Ich denke nicht, dass wir am Ende ohne zusätzliche Mittel auskommen werden.“