sommerkrimi

Folge 28

Unter Schock und völlig erschöpft wurde er von Rettungskräften in ein Krankenhaus gebracht. Am nächsten Morgen erwachte er und konnte sein Glück nicht fassen. Auf eigenes Risiko verließ er das Krankenhaus und ging nach Hause. Kaum dort angelangt, erreichte ihn eine gnadenlose Nachricht. In dem Flugzeug, das in seinen Tower geflogen war, hatten seine Schwester und ihr vierjähriges Kind gesessen. Er brach zusammen.

Pieter Lund spürte ein Brennen in den Augen, er schluckte schwer. In den letzten Tagen waren die Medien voll mit Einzelschicksalen. Überall verzweifelte Mütter, Väter, Brüder, Schwestern und Kinder. Unvorstellbarer Schmerz überall. Umso stärker beeindruckten Lund die Amerikaner, die mit mahnenden Transparenten auf die Straße gingen: Keinen neuen Weltkrieg!, Vergeltung ist kein Weg! Gestern Nacht, als er nach Hause kam, hatte er im Fernsehen einen Bericht über die Reaktionen in New York und Washington gesehen. Da sprach eine Frau ganz einfache Worte, die Lund seitdem nicht mehr aus dem Kopf kriegte:

„Wir müssen uns fragen, warum es auf der Welt Menschen gibt, die Amerika so sehr hassen, dass sie nicht zögern, uns etwas so Schreckliches anzutun.“

*

Hamburg, 15.9.2001, 9.00 Uhr

„Leute, wir sind die letzten der Mohikaner!“

Pieter Lund versuchte einigermaßen tatendurstig in die Gesichter seines kleinen Ermittlungsteams zu blicken, aber es kam kein Scherz zurück. Der Schock und der Stress der letzten Woche saßen ihnen zu sehr in den Knochen.

„Nichts ist mehr wie es war. Die Abteilungen Schleuser und junge Gewalttäter werden aufgelöst, große Teile der Bereitschaft und selbst so wichtige Abteilungen wie die Drogenfahndung in St. Georg arbeiten nur noch mit halber Besetzung. Der Rest bewacht den Flughafen, die Bahnhöfe, die Synagoge, Konsulate oder irgendwelche Firmen in einer neuen Alarmabteilung. Außerdem sollen jetzt zwei Sonderkommissionen eingerichtet werden, die SoKo USA und die SoKo Rasterfahndung. Wir sind die letzten Indianer, die sich noch mit ganz gewöhnlichen Banditen beschäftigen.“

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus