Der Kampf gegen den Fluss

Die Elbe steigt und steigt und steigt. Tausende von Menschen im Nordosten Niedersachsens legen Millionen von Sandsäcken an die Deiche. Im Fernsehen haben sie gesehen, was auf sie zukommt. Jetzt schwanken sie zwischen Angst und Fatalismus

von SANDRA WILSDORF

High Noon in Dömitz: Der klei-ne Ort an der Elbe ist wie ausge-storben. Fenster in Keller und Erdgeschoss sind mit Brettern vernagelt und Plastikfolie verklebt, vor jeder Kellerluke und vor vielen Eingangstüren stapeln sich die Sandsäcke. Sogar Türschlösser sind mit Klebeband versiegelt, einige Ritzen sind mit Dichtungsschaum gefüllt. Ab und an fährt ein Bundeswehrlaster vorbei oder ein Fahrzeug des Technischen Hilfswerks. Die Geschäfte sind geschlossen. Einige erklären das auf einem Zettel mit dem „drohenden Hochwasser“, andere haben einfach nicht auf. Das Kaufhaus ist mit Brettern vernagelt. Das Schild „wiedereröffnet 2001“ lässt Tragik ahnen.

„Das ist doch kein Wasser“

Eva Hibinski sichert gerade noch, gemeinsam mit Mann und Nachbarn, das Geschäft. Sie weiß nicht, wie das alles werden soll: „Wir haben doch gerade die Winterware bekommen, wie sollen wir die Rechnungen bezahlen“, fragt sie und erzählt, dass Kinder und Enkel das Dorf schon verlassen haben. Sie lobt die vielen Helfer. Reinhard Wilkens sieht keinen Grund, seinen Elektroladen zu schließen: „Das ist doch kein Wasser“, sagt er und erzählt von der „wirklich hohen“ Flut, als er ein kleiner Junge war. „Da stand es keine 50 Meter von hier.“

In Hitzacker wenige Kilometer flussabwärts sind 500 Menschen in der Altstadt bedroht, einige Keller sind schon überflutet. Auch den Anwohnern im Hinterland der Jeetzel, die hier in die Elbe fließt, drohen Überschwemmungen. „Wir haben keinerlei Erfahrungen mit einem derartigen Hochwasser“, sagt Deichhauptmann Ulrich Flöther.

Seit Tagen sehen die Menschen hier im Fernsehen, was da auf sie zukommen soll. „Wir haben alles getan, jetzt können wir nur noch hoffen“, sagt eine ältere Dame. Doch die Zeit der Vorbereitung macht auch mürbe: „Erst konnte ich nicht schlafen wegen der vielen Arbeit“, sagt Ilona Sachtleben. Und vorige Nacht hat sie vor lauter Sorge kein Auge zugemacht. „Wir haben doch das Bad ganz neu gemacht“, sagt sie.

Die Dömitzer treffen sich beim Pegelmesser am Deich. Der zeigt ihnen, wie schlimm es um sie steht. Noch ei-nen Meter Luft. Und das Wasser steigt. Sie erzählen einander Geschichten von früher. Von 1888, 1947 und 1988, als „richtiges Hochwasser war“. Denn der Ort ist von Elbe und Elde umgeben und Hochwasser gewöhnt. Jetzt steht es bei etwa sechs Metern, bis 7,70 geht der Anzeiger auf dem Deich.

Ein paar Kilometer weiter elb-aufwärts auf der anderen Seite ist das Wasser schon da: Zwischen Gorleben und Gatow steht es direkt neben der Straße. Der Gatower See, die Seege bei Laasche, die Elbe: Alles drückt auf die Deiche. Bei Holtorf sickert es durch den Damm. Hilfskräfte schütten Schotter auf die feuchten Stellen. „Hier in der Nähe haben wir voriges Jahr noch Deichbruch geübt“, sagt ein Feuerwehrmann aus Soltau-Fallingbostel. Jetzt ist es Ernst. Ein Kran verlädt Sandsäcke auf Schuten, die sie zwei Kilometer weiter stromaufwärts abladen. „Da ist der Deich schon so weich, dass wir nicht mehr rauf können.“

Niemand kommt mehr durch

Die Orte wirken ausgestorben, die Leute helfen irgendwo auf den Deichen. In Schnackenburg sitzt eine Pensionsbesitzerin allein in ihrer Gaststube. Weil niemand mehr durchkommt, kehrt auch niemand mehr ein. Die Straßen sind nur noch für Anlieger und Hilfskräfte frei.

Jemand bringt die Nachricht, dass die Brücke hinter Gatow gesperrt werden soll. Dann wäre Schnackenburg von der Außenwelt abgeschlossen. Und auch die, die glauben, dass es diesmal nicht anders ist als sonst, fangen an, sich Gedanken darüber zu machen, was sie eigentlich noch zu essen im Haus haben.