australien doch nicht! von JÜRGEN ROTH
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In meiner Stammkneipe verkehren Autoverkäufer, Versicherungsmakler, Cateringspezialistinnen, IT-Kräfte, Lokführer, undurchschaubare Immobilienhasardeure, Fahrradhändler, Köche und andere gebeugte Existenzen. Sie ist deshalb nicht gleich ein Idyll, ein klassenloses Soziotop. Besitzer und Wirt Rascha kam einst von Roter Stern Belgrad, spielte bei den Sechzigern und beim 1. FC Köln. Er neigt manchmal dazu, die Welt aus dem Blickwinkel des Verschwörungstheoretikers zu betrachten, und dann streiten wir uns. Schon 1999 legte er mir jene Hintergründe des Angriffskrieges gegen Serbien dar, die man heute nicht bestreiten kann. Das hat aber noch nichts zu sagen.

Klaus, ein erfolgreicher Mann aus der Telekommunikationsbranche, sagt, dass man verflucht noch mal schon wieder hier sitze und es doch schön sei. Er berichtet von seiner gescheiterten Ehe, erzählt von seinem Sohn, und Antonio bemerkt, er solle sich jetzt was Neues einfallen lassen, weshalb er, Antonio, das Leben seines sizilianischen Großvaters als vorbildlich preist, nicht zum ersten Mal, der habe immer seinen eigenen Kopf besessen und jeden Tag zwei Flaschen Rotwein weggekippt. Antonio hebt den Weizenbierkelch, das sei ein Leben, er habe keinen Bock mehr auf die Scheißbranche, immer nur Kohle, Kohle, das hänge ihm zum Hals raus, er haue ab, zurück in die Gegenwelt der Inselberge und ein Leben führen, das sich selbst gehorche, vor dem Haus sitzen, ein bisschen aushelfen im Café oder beim Bäcker, er werde jetzt ohnehin die Brocken hinschmeißen und was Nützliches tun, er werde wahrscheinlich schon morgen Sozialarbeiter.

Harald, der ehemalige Kampfschwimmer aus der DDR, heute ist er Computerberater, hegt den Eindruck, die Menschen würden von einer permanenten Angst heimgesucht, von der Angst um den Job, der Angst, morgen auf der Straße zu stehen, sein Kumpel Soundso und der und der, die seien am Ende, worauf ihm Birgit beipflichtet und ein Bier bestellt bei Andrea, was das Zeichen ist, dass nun alle noch ein Getränk ordern.

Eisenbahner Karl schreit, er sei in London gewesen, eine irre Stadt, und die Sprache, echt, null Thema sei die gewesen, zum Donnerwetter, er und Englisch, null Thema, hör mal zu! Und außerdem, der Kollege Fritsch sei doch glatt in Australien gewesen, was müssen die Leute nach Australien fahren! Die Leute sollen in die Oberpfalz fahren! Da hätten sie eine Landschaft, die Australien nicht hat. Australien doch nicht!

Ahmed kommt, hebt die Hand, rückt herein in die Runde und fackelt ein Feuerwerk an Witzen und Sottisen ab. Friseur Gustav, der sich gern „Diva“ nennt, hält nach Kerlen Ausschau. Lokführer Martin bietet ihm an, auf seinem Internet ein paar anständige Weiberbilder zu gucken, und Gustav hebt das Glas und sagt, er solle aufpassen, sonst greife er sich gleich ihn, und so wogt es weiter, und manchmal kommt man nur, um einen Kaffee zu trinken und die Zeitung zu studieren, und dann nimmt man Platz und wird in Ruhe gelassen, oder Rascha fragt, wie es um die Dinge bestellt sei und lacht.