Die Generationenarbeiterin

Die scheidende UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson kritisiert China auch bei ihrem letzten Besuch, doch erweist ihr die Regierung in Peking mehr Respekt als die in Washington. Dabei findet Robinson zum Beispiel zu Tibet deutliche Worte

aus Peking GEORG BLUME

Zum siebten Mal das fast gleiche Programm: Gespräch mit dem Vizeaußenminister, Workshop mit Richtern und Rechtsanwälten (das letzte Mal traf sie Gefängnispersonal), dann Empfang beim Vizepremier und weitere Gespräche mit Politikern. Zum siebten Mal innerhalb von fünf Jahren boxt sich Mary Robinson mit Frauenpower durch Pekings kommunistische Männerwelt. Doch der UN-Menschenrechtskommissarin ist darüber kein einziges graues Haar gewachsen.

Mit hoch erhobenem, rotblond getöntem Schopf nimmt Robinson am Dienstag in der Pekinger UN-Botschaft Abschied von ihrer schwierigsten Mission: China die Menschenrechte zu lehren. Sie hat es versucht wie niemand vor ihr, war in den letzten Jahren öfter hier als jeder andere westliche Politiker, weiß die Namen der eingesperrten chinesischen Dissidenten auswendig, als arbeite sie für amnesty international. Doch nun muss Robinson gehen, obwohl ihre Mission gerade erst Tritt fasst. „Das hier ist Generationenarbeit“, spricht sie scharf gestanzt in einen Strauß Mikrofone. „Hoffentlich wird mein Nachfolger in der Lage sein, direkt mit chinesischen Nichtregierungsorganisationen zu sprechen.“ Auch jetzt ist noch jeder Satz von ihr ein Stück versteckter Regierungskritik.

Daran ist sie gescheitert, aber nicht in Peking. „Sie hat ihren Job zu sehr politisiert“, bemerkte Richard Holbrooke, der ehemalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, nachdem sich die Bush-Regierung schon im Frühjahr UN-intern gegen eine zweite Amtszeit von Robinson als Menschenrechtskommissarin ausgesprochen hatte. Anlass dafür bot ihr Aufbegehren gegen die Misshandlung afghanischer Gefangener in US-Haft. Robinson präzisierte dann Ende Juli öffentlich, dass „nur ein Land“ gegen ihren Verbleib im Amt vorgegangen sei – ohne die USA beim Namen zu nennen.

In Peking stellt sie gestern klar: „Ich bin mir der Kritik an meiner Arbeit aus der entwickelten Welt bewusst“, wobei jeder weiß, dass diese Kritik nicht aus Europa oder Japan kommt. Sie zollt damit zugleich ein – wiederum in Kritik verstecktes – Dankeschön an ihre chinesischen Gastgeber, die eben nicht zu der entwickelten Welt zählen, die sie ihres Amtes entledigte.

Warum aber will China sie nicht loswerden? Schließlich preschte Robinson schon auf ihrem zweiten Besuch nach Tibet vor, prangerte dort die Unterdrückung der Mönche an, so wie sie auch gestern die chinesische Bevölkerungspolitik in Tibet geißelte: „Es gibt ernste Bedenken, dass die Tibeter mancherorts in ihrem Land zur Minderheit werden. Wir Iren haben einst ähnliche Erfahrungen mit der Plantagenpolitik der Briten gemacht.“

Deutlicher lässt sich aus Sicht einer ehemaligen irischen Präsidentin kaum zum Widerstand aufrufen. Trotzdem empfängt Vizepremier Qian Qichen sie gemeinsam mit seiner Ehefrau – wie eine gute alte Freundin.

Das Phänomen erklärt Robinson so: „China erlebt auf dem Weg in die Marktwirtschaft sehr schnelle Veränderungen, Korruption und Habgier verunsichern viele Chinesen, schon werden Teile der Arbeiterschaft unruhig und protestieren. Vor diesem Hintergrund bilden die internationalen Menschenrechtsstandards in Verbindung mit eigenen chinesischen Stärken ein sehr gutes Wertesystem. Die chinesische Regierung, so wie ich sie verstehe, ist dabei, ein solches Wertesystem für ein modernes China aufzubauen.“ Im nächsten Satz spricht Robinson dann wieder von verhafteten Arbeiterführern. Es stimmt schon, ihr Auftritt ist sehr politisch. Der designierte Nachfolger Sergio Vieira de Mello aus Brasilien wird sich wieder an diplomatische Spielregeln halten.

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