Charmanter Größenwahn mit ein paar Unbekannten

Die PDS möchte plötzlich Gerhard Schröder zum Kanzler wählen und stellt Bedingungen. Dass dies eine Phantomdebatte ist, sagt sie nicht

BERLIN taz ■ Die PDS hat Großes vor. Sie will Stoibers Weg an die Macht durchkreuzen. Sie will Schröder im Bundestag zum Kanzler wählen. Sie will die liberale Republik vor dem bösen schwarzen Mann retten. Drunter machen’s die Genossen nicht.

So viel charmanter Größenwahn wirft allerdings ein paar kleine Fragen auf: Warum unterstützt die PDS plötzlich einen Kanzler, den sie bislang als „Kriegstreiber“ und als „Neoliberalen“ beschimpft hat? Warum kommen die Sozialisten ausgerechnet jetzt auf die Idee, wo sie doch auf ihrem Wahlparteitag im März noch fröhlich einen knallharten Oppositionskurs beschlossen haben? Wie hoch ist jetzt der Preis der PDS für ihre Schröder-Liebe? Und, nicht ganz unwichtig, was sagt der Kanzler zu dem forschen Angebot?

Fangen wir mit dem einfachsten an: Die ganze Diskussion ist im Prinzip eine Phantomdebatte. Das Angebot der Genossen gilt ohnehin nur für den Fall, dass es nach der Bundestagswahl am 22. September zu einem Patt zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb kommt, also keines der beiden Lager über eine eigene Mehrheit verfügt. Schröder könnte sich dann, so das Kalkül der PDS, mit den Stimmen der Sozialisten zum Kanzler wählen lassen, wenn er seinerseits im Gegenzug ein paar ihrer Bedingungen erfüllt.

Mal angenommen, Schröder würde tatsächlich so denken – lieber mit der PDS gewählt, als gar nicht gewählt –, was aber passiert nach der Kanzlerwahl? Eine rot-rot-grüne Regierung? Will der Kanzler nicht, wollen die Grünen nicht, will die PDS nicht. Eine von der PDS tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung? Will auch keiner. Eine rot-grüne Minderheitsregierung, die sich im Parlament abwechselnd ihre Mehrheiten sucht? Die SPD zieht dieses Abenteuer einer Ampel oder einer großen Koalition vor? Schröder wird darüber nur müde lächeln können, vielleicht würde er noch murmeln: Wir sind doch nicht in Schweden.

Die PDS-Führung weiß um den Phantomcharakter dieser Debatte, aber darüber reden möchte sie natürlich nicht. Darin besteht ja das eigentliche Kalkül ihres Vorstoßes: Die PDS soll im Duell zwischen Schröder und Stoiber als ein realer Machtfaktor erscheinen. Alles über diesen Schein hinaus erklärt sie zum Problem der SPD. Die müsse sich jetzt bewegen. Um dem Kanzler für den Ernstfall ein kleines Hintertürchen offen zu halten, hat die PDS ihre Bedingungen für eine Schröder-Wahl bewusst allgemein gehalten: ein Nein zum Irak-Krieg, keine Zwangsprivatisierung der sozialen Sicherungssysteme, mehr soziale Gerechtigkeit, Zusammenwachsen von Ost und West.

Dahinter steckt der eigentliche Kern des Problems: Das kühne Angebot der PDS ist zuallererst aus der Not geboren. Der Rücktritt von Gregor Gysi als Berliner Wirtschaftssenator hatte die Partei in größere Verzweiflung gestürzt, als sie offiziell zugeben mochte. Zu diesem Stimmungstief passten die aktuellen Umfragen. Erstmals seit Monaten sank die PDS bundesweit wieder unter die Fünfprozentmarke, in Berlin brach sie sogar regelrecht ein. Hektisch suchte die PDS-Spitze nach einem Ausweg aus dieser Defensive und fand sie in dem vage gehaltenen Schröder-Deal.

In der Parteiführung war um diesen Kurswechsel schon monatelang gerungen worden. Vor allem der starke Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch hatte immer befürchtet, bei der bisher festgelegten klaren Oppositionsstrategie würde die PDS im Duell zwischen Schröder und Stoiber untergehen. Parteichefin Gabi Zimmer hingegen hatte noch Ende Mai erklärt: „Es ist nicht Aufgabe der PDS, Schröder zu retten.“ Entgegen kam Bartsch jetzt nicht nur die nackte Angst in der eigenen Partei, sondern auch Schröders Ablehnung eines Irak-Krieges und dessen Wiederentdeckung der sozialdemokratischen Seele.

Wenn der Kanzler es mit seinem „deutschen Weg“ ernst meint, das weiß Bartsch, dann ergeben sich für die Zukunft ernsthafte Möglichkeiten der Kooperation von SPD und PDS. Mag das jetzige Angebot an Schröder nur Wahlkampftaktik und unrealistisch sein – für Bartsch und seine Unterstützer in der PDS-Führung ist es eine Investition in die Zukunft. 2006 soll die Partei im Bund mitregieren. Gemeinsam mit der SPD. JENS KÖNIG