Von der Kloschüssel in die Elbe

Ungeklärt fließt das Abwasser in die Flut. Umweltverbände fürchten einen „Giftcocktail“ im Elbwasser, der allerdings durch das Hochwasser gut verdünnt wird. Akute Seuchengefahr besteht derzeit nicht

„Die Flut hat alles so verdünnt, dass die Giftfracht allenfalls hygienisch ein Problem ist“

BERLIN taz ■ Seit letztem Freitag ist die Kläranlage Dresden-Kaditz überflutet. „Das Abwasser entweicht durch die Kanalisation“, sagt Torsten Fiedler, in Sachsens Landeshauptstadt zuständig für Entwässerung. Entweichen heißt: ungeklärt in die Elbe fließen. Zum Einzugsgebiet des Klärwerkes gehört neben Dresden auch Freital und ein Teil Radebeuls – eine halbe Million Menschen werden hier entwässert. Fiedler: „An normalen Tagen fallen 110.000 Kubikmeter Abwasser an, an Regentagen leicht das Zwei- bis Dreifache.“ Das bedeutet: Allein aus Dresden sind bislang weit über eine Million Kubikmeter Abwasser ungeklärt den Fluss runtergegangen.

Meißen, Torgau, Riesa – weil Kläranlagen naturgemäß am Ufer liegen, ist die Situation überall die gleiche. Auch im Erzgebirge und in der Region um Chemnitz sind zahlreiche Klärwerke überschwemmt, die Zuflüsse sind entsprechend verdreckt. Umweltschützer warnen deshalb davor, dass nach der Zerstörung durch Wasser jetzt eine Zerstörungsflut durch Umweltgifte flussabwärts rollt. Zudem sei ein „Giftcocktail“ zu befürchten. Dioxine, Quecksilber oder Tributylzinn – die Aktionskonferenz Nordsee befürchtet, „dass das Elbwasser aus zahlreichen Unternehmen Chemikalien ausgewaschen hat, die jetzt Grundwasser und Gewässer stromab bedrohen“.

Das Hochwasser stinke heftig, berichtete das sächsische Innenministerium. Vor allem für die freiwilligen Helfer ein Problem: Anders als die Profis hätten sie in der Regel keine Handschuhe und wären nicht geimpft. Deshalb gab das Innenministerium Verhaltensregeln zur Vermeidung von Infektionsgefahren aus: Trinkwasser abkochen, geflutete Gärten schnell umgraben, Gemüse vernichten, Tierkadaver nicht selbst entsorgen, Hautkontakt mit abgelagtertem Schlamm vermeiden. „Akut besteht keine Seuchengefahr“, sagt ein Ministeriumssprecher. Ein Thema sei diese Gefahr aber schon. Die Gesundheitsämter bieten deshalb allen freiwilligen Helfern kostenlose Impfungen gegen Tetanus und Hepatitis A.

Nach dem Wettlauf gegen das Wasser beginnt nun der Wettlauf gegen die Sonne: „Bei weiterer Hitze werden vor allem die Tierkadaver schnell zum Problem“, so das Innenministerium. Und Hitze gibt es derzeit viel in Sachsen: Die Temperaturen kletterten gestern auf bis zu 33 Grad. „Der Handlungsdruck steigt mit sinkendem Elbpegel“, sagt Fiedler. Denn bislang seien flussabwärts zumindest keine „schweren Umweltschäden zu befürchten“. Die Flut verdünnt die Abwasserfracht, die Einträge seien überwiegend biologisch. Mit sinkendem Pegel verdünnt die Elbe aber immer weniger. „Wir arbeiten fieberhaft daran, wenigstens eine Teilkapazität wieder arbeitsfähig zu bekommen.“ Vielleicht gelingt das in der nächsten Woche – die Bundeswehr hat Technik angeboten. „Kläranlage und Kanalisation komplett arbeitsfähig zu machen, das wird wohl Monate dauern“, befürchtet Fiedler.

Als „herben Rückschlag für die gesundung der Elbe“ bezeichnet Professor Heinrich Reinke von der Wassergütestelle Elbe in Hamburg-Finkenwerder die vom Hochwasser verursachte Giftfracht. In der letzten Woche hatte sein Institut mit Sondergenehmigung des tschechischen Militärs im überschwemmten Chemiewerk Spolana Neratovice, unterhalb Dresdens und an der Muldemündung Proben genommen. Die Ergebnisse werden zwar erst am Donnerstag vorliegen. So viel aber steht heute schon fest: „Im Mittel ist die Belastung durch Schwermetalle um das Zehnfache höher als vor der Flut“, so Reinke. Weil jetzt die kommunalen Abwässer zunehmend zum Problem werden, startet die Wassergütestelle heute eine zweite Testreihe.

Auch das Bundesumweltministerium hat noch keine genauen Testergebnisse. Stichproben der Länder hätten aber alle das gleiche Ergebnis, so ein Ministeriumssprecher: „Keine Gefährdungen. Die Schadstofffracht der Elbe wurde durch das Hochwasser kräftig verdünnt.“ Das ist auch die Erkenntnis von Markus Schrötter, Geschäftsführer des Dresdner Ökoprojektes Elberaum: „Die Flut hat alles so verdünnt, dass die Giftfracht allenfalls hygienisch ein Problem ist“. NICK REIMER