Die CDU-Kampagne säuft ab

Schröders Steuerkniff drängt die Union in die Defensive. Wegen grassierender Ratlosigkeit verschob sie die Präsentation ihres Sofortprogramms

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Gerhard Schröders größtes Glück in dieser Stunde? Dass Rot-Grün im Bundesrat keine Mehrheit hat. Dadurch gerät die Union unter Kanzlerkandidat Edmund Stoiber in die Zwangslage, sich zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen: Entweder sie blockiert mit ihrer Bundesratsmehrheit den Wiederaufbau in den Flutregionen – oder sie fügt sich ins Unvermeidliche und stimmt der Verschiebung der Steuerreform zu. Damit freilich würde sie einem Vorschlag ihres verhassten Konkurrenten zur Mehrheit verhelfen und sich jeder Möglichkeit zu späterer Kritik berauben. Die Flut produziert Politik paradox: Stoibers und Merkels Ruf nach einem nationalen Kraftakt erlaubt Gerhard Schröder, die Opposition zu umarmen, bis ihr die Luft wegbleibt.

Zwar stellte die Führungscrew von CDU und CSU gestern rasch eine Bedingung für ihre Zustimmung in der Länderkammer auf. Doch beging sie damit womöglich bereits den nächsten Fehler: Sie forderte ausgerechnet, wozu Schröder nur allzu gerne bereit sein dürfte – eine Beteilung der großen Unternehmen an den Hochwasserkosten.

„Es leuchtet ja wohl jedem ein, dass Handwerk und Einzelpersonen nicht die ganze Last tragen können“, argumentierte Angela Merkel im ZDF-Morgenmagazin. Stoibers Sprecher Ulrich Wilhelm legte nach. „Also klipp und klar: Den Plan der Bundesregierung, wie er vorgelegt wurde, machen wir nicht mit. Ein Solidarbeitrag muss auch auf den Schultern der Kapitalgesellschaften ruhen.“ Finanzminister Hans Eichel reagierte regelrecht entzückt: „Aber bitte, wenn Herr Stoiber sagt, ich möchte noch etwas anderes an Plänen, dann müssen wir noch mal darüber reden.“

Die Union tut dem SPD-Kanzler gleich einen mehrfachen Gefallen. Psychologisch betrachtet stärkt jede Einigung, die die Bundesregierung mit der Opposition aushandelt, Schröder als Konsenskanzler – und den mögen viele Wähler. Pragmatisch gesehen könnte die SPD jetzt dank der Union eine Position räumen, die den eigenen Anhängern ohnehin nie zu vermitteln war: Dass Großunternehmer ausgerechnet unter Rot-Grün steuerlich besser gestellt wurden als zu Helmut Kohls Zeiten. Schröder hatte den Schritt als „Entflechtung der Deutschland AG“ verkauft, doch vom Kampf gegen den Reformstau haben die Wähler fürs Erste genug.

Vor allem aber können die Sozialdemokraten jetzt anpacken, was sie auch ohne Hochwasser gerne getan hätten: ein staatliches Konjunkturprogramm aufzulegen. Im Sommer 2001 hatten sich Schröder und Eichel diesen Rückgriff auf Staatsinterventionismus à la Lafontaine noch verkniffen. Der dafür erfundene Slogan von der „ruhigen Hand“ hat dem Kanzler im Wahlkampf der letzten Monate fast das Genick gebrochen. Jetzt verschiebt das Hochwasser politische Parameter. Was die plötzliche Renaissance des Umweltschutzes für die Grünen bedeutet, ist der SPD die wieder erwachte Sehnsucht nach ein bisschen mehr staatlicher Hilfestellung. Freie Hand statt ruhiger Hand: Das könnte Rot-Grün noch retten.

Schröders Steuerkniff droht die Union nicht nur psychologisch und pragmatisch in die Defensive zu drängen, sondern auch programmatisch. Nur Stoiber hilft den kleinen Leuten, nur Stoiber stützt den Mittelstand, erst mit Stoiber kommt der Aufschwung: Wenn Schröders Fluthilfe durchkommt, kann die Union keine dieser Angriffslinien mehr ohne Korrekturen verfolgen. Prompt sagte das Adenauer-Haus gestern die geplante Präsentation des Sofortprogramms einer Regierung Stoiber ab – offiziell wegen der Flut, tatsächlich wegen grassierender Ratlosigkeit.

Selbst die Kritik an der Steuerreform gerät der Union indirekt zum Kompliment an den Finanzminister. Wenn Stoiber argumentiert, dass eine Verschiebung vor allem die Kleinverdiener und den Mittelstand trifft, dann gibt er damit zu, dass beiden Gruppen ursprünglich Entlastungen zugedacht waren.

Bleibt die Frage: Benützt Schröder das Hochwasser für den Wahlkampf? Nein, er nutzt es zum Regieren. Das ist der beste Wahlkampf.