leben in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN trifft Wayne und Angie

Andere Länder, andere Sitten

Christoph Biermann, 41, liebt Fußball und schreibt darüber

So ganz sicher war ich mir nicht, ob es ein Trikot der Glasgow Rangers war, das Wayne sich zum Fußballspielen angezogen hatte. Also fragte ich ihn, um eine freundliche Plauderei über Lieblingsvereine in Gang zu setzen. Ich glaube schon, sagte er, zog am Shirt und schaute sich das Vereinswappen genauer an. Glasgow Rangers, ist das gut, wollte er dann wissen. Etwas seltsam, wenn du katholisch bist, sagte ich und konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er mit dieser Bemerkung überhaupt nichts anfangen konnte. Hier war offensichtlich nicht der Ort, wo fußballspielende Männer selbstverständlich über die religiöse Ausrichtung der beiden großen Klubs in Glasgow Bescheid wussten.

Hier kickten wir den Ball auf einem Baseballfeld herum und schauten beim Verschnaufen von den Hügeln Santa Cruz’ über die Monterrey Bay. Dies war Kalifornien und nicht Fußballland. Hier hieß Fußball nicht Football, sondern Soccer, weil Football unter Helmen und Schulterpolstern mit einem Lederei gespielt wird. Und hier war die übliche Annahme aus Europa hinfällig, dass, wer Fußball spielt, sich auch für Fußball interessiert.

Dabei konnte Wayne eigentlich auch als Gegenbeispiel für den am Fußball nur beiläufig interessierten Fußballspieler herhalten, denn abends wollte er auf jeden Fall noch die fünfzig Meilen nach San José fahren, um sich dort die Earthquakes gegen LA Galaxy anzuschauen. Außerdem weiß wohl auch hierzulande kaum jeder Hobbykicker, dass Celtic der Klub der irisch-katholischen Zuwanderer in Glasgow ist und die Rangers den protestantischen Royalisten zuzuordnen sind.

Meine Trikots kaufe ich immer im Sonderangebot und achte nicht darauf, von wem sie sind, sagte Wayne. Sie waren bunte Sportbekleidung für ihn, eine Geschichte brauchte er dazu nicht. Im Grunde war es wie bei uns, wo die meisten Träger einer Baseball-Kappe mit den Buchstaben NYY wahrscheinlich gar nicht wissen, dass es das Kürzel der New York Yankees und der Klub eine Art FC Bayern des amerikanischen Baseballs ist. Wobei Soccer in den USA viel größer ist als Baseball in Deutschland.

Aber Fußball wird hier nie werden wie bei euch! Das sagte Alexi Lalas abends streng, nachdem er mit LA Galaxy bei den San José Earthquakes verloren hatte. Da können irgendwann sechzigtausend Zuschauer in den amerikanischen Stadien sitzen und die Klubs tolle TV-Deals haben, es wird anders bleiben, meinte der Mann, der als Kicker mit der Rockgitarre auch bei uns berühmt geworden war. Richtig trotzig schaute der ehemalige US-Nationalspieler unter seinen roten Haaren hervor. Lalas machte noch ein Habt-ihr-das-kapiert-Gesicht, stapfte zum Mannschaftsbus, und mir fiel wieder Angie ein.

Angie hatte vormittags mit ihrer Tochter bei uns gekickt, was ich ziemlich spektakulär fand. Zwar hatte ich schon häufiger mit Frauen zusammen Fußball gespielt, aber noch nie mit Mutter und Tochter. Nach dem Kicken verteilte Angie Flyer für einen neuen Soccer-Shop in Santa Cruz, sie war offensichtlich eine lokale Fußballaktivistin. Wir sollten unbedingt den Laden unterstützen, sagte sie, damit er nicht wieder zumachen müsse. Es sei wichtig, wenn man Sätze von Fußballtrikots vor Ort kaufen könnte und nicht weit dafür fahren oder sie im Internet ohne Anprobe kaufen müsse. Das leuchtete ein, und ihre Verve erinnerte mich daran, wie früher für politische Buchläden geworben wurde.

Fußball ist in den USA ein Sport der Jugendlichen und der Frauen, ein moderner Mittelschicht-Sport, der nichts mit schweren Mythen oder generationsverbindenden Geschichten von ewiger Anhänglichkeit an einen Klub zu tun hat, wie wir sie aus Europa und Südamerika kennen. Alte Erzählungen über große Spieler und Spiele spielen keine Rolle, und Trikots haben keine emblematische Kraft. Traditionslos mag das aus unserer Sicht erscheinen, doch sind die Waynes und Angies nicht minder fußballbegeistert – jedenfalls fürs Spielen. Vielleicht ist Kalifornien doch Fußballland. Nur eben ein anderes.