sommerkrimi

Folge 30

Lund stand auf, ging zum Fenster und blickte nachdenklich hinaus.

„Sag doch mal, Atze, was hat denn der Novitzki auf Mallorca so ganz genau zu tun gehabt?“

„Er hat mit zwei Jugendlichen in einem erlebnisorientierten Resozialisierungs-Projekt gearbeitet.“

„Das sagtest du schon. Bitte, um was ging es da ganz konkret?“

Lund klang ein wenig gereizt, er konnte seine Mattigkeit nur mühsam kontrollieren. Atze Wendt kratzte sich wieder verlegen mit dem Bleistift unter seinem Hut.

„So genau konnte ich das noch nicht rauskriegen. Ich habe bislang erst mit der Sekretärin gesprochen. Die sagte mir, das es ganz verschiedene Projekte gibt, die von der Kleinen Flatter organisiert werden. Über die konkreten pädagogischen Hintergründe müsste ich mit dem Wellmann reden, das ist der konzeptionelle Guru.“

Lund setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

„Ich denke, das heben wir uns für später auf, sehe im Moment da keine Notwendigkeit.“

Er blickte erwartungsvoll in die Runde, Zustimmung erheischend, dann fuhr er fort: „Erzähl, Larissa, wie weit bist du gekommen? Wie hat der Vater die schreckliche Nachricht aufgenommen?

Larissa Lehmann räusperte sich.

„Na ja, dass war leider einfacher als ich dachte.“

„Wie ... leider?“ Atze Wendt schaute sie ungeduldig an.

„Der Mann ist ein Vollpflegefall. Demenz. Er sprach mich dauernd mit dem Namen seiner verstorbenen Frau an, außerdem noch mit zwei, drei anderen. Die Nachricht vom Tod seines Sohnes schien er zunächst gar nicht aufzunehmen. Als ich dann mehrfach das Wort tot wiederholte, schreckte er plötzlich hoch und schaute mich mit wirren Augen an. Dann war ich wieder irgendeine andere Person aus seinem Leben. Als ich mich schließlich verabschiedet hatte und schon in der Tür stand, fragte er plötzlich: Hat er gelitten? Als ich verneinte, rief er mir nach: Grüßen Sie meinen Gerd, wenn Sie ihn sehen!“

Larissa Lehmann wirkte wie abwesend, als sie sprach. Täuschte Lund sich, oder hatte sie tatsächlich Tränen in den Augen?

„Also, mit anderen Worten, können wir knicken, den Daddy.“

Wendt stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Es hielt ihn nicht mehr auf seinem Stuhl.

„Atze, bitte!“

Entschuldige, Pieter! Wir quatschen hier munter rum, haben aber nichts Konkretes in der Hand. Müssen wir uns da stundenlang mit Krankengeschichten aufhalten?“

„Atze! Es reicht jetzt!“

Wendt wandte sich wieder dem Fenster zu und sagte nichts mehr.

„Was hast du über das persönliche Umfeld herausgekriegt, Larissa?“

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus