Geloopte Katzenschreie

Schauspielerinnen-Solo im Jungen Theater: Andrea Liebezeit sucht eindrucksvoll „Alles. In einer Nacht“ und findet ein endloses Freizeichen im luftleeren Raum

Ein netter Empfangschef überreicht dem Besucher einen Schlüssel nebst Hausordnung. Da weder das Rauchen noch der Verzehr von Getränken in den Zimmern gestattet ist, stellt man sich noch einen Moment nach draußen in die Abendsonne. Die letzte Zigarette, das letzte Bier. Mindestens für 75 Minuten. Dann Zimmersuche. Nummer 20, ah ja, hier. „Unser Haus vermietet ausschließlich Einzelzimmer, d.h. die Belegung eines Bettes durch mehr als eine Person ist nicht gestattet.“ Einige liegen, andere sitzen auf ihrer Decke. Wie in einem unpersönlichen Gästehaus, kurz vor der letzten Ausfahrt nach irgendwo.

Von rechts torkelt eine junge Frau herein und beginnt zu reden. Davon, wie schwierig alles ist. Und wie leicht. Sie phantasiert von einer Art Roadmovie mit einem Taxi. Sie ruft Handynummern durch den Raum. Eine statische Suada, nur bei „lassen Sie ihn diesmal nicht durch das Netz gehen“ ein kurzes Kopfschütteln. „Versuchen Sie 227 223 298 / Lassen Sie sich dort alle Nummern geben, unter denen / eventuell / irgendwo / irgendwer / zu erreichen ist.“

Wie oft in Ein-Personen-Stücken kann auch hier die Schaupielerin die Register ihres Handwerks nach Herzenslust ziehen: Andrea Liebezeit kreischt, röchelt, schreit, flüster, sie spricht vertraut, dann wieder befremdet. Manchmal erinnert das ein wenig an Susanne Lothars Lulu bei Zadek. Tatsächlich ist diese junge Frau eine Art zeitgenössische Lulu. Sie braucht keine Männer mehr, um ein Spiegel zu sein. Sie ist sich selbst Spiegel genug. „Wenn der Kopf springt vor all diesen Bildern und diese Musik in meinem Kopf.“ Ein mit Zeug angefüllter Körper, der verzweifelt nach etwas Eigenem sucht.

Alles dreht sich eigentlich um den Umberto Eco-Gedanken, dass der Satz „Ich liebe dich“ heutzutage nur noch als Zitat aussprechbar ist. Zugleich aber vermittelt dieser Satz Freuden und Leiden, die äußerst real sind. Auch wenn die Handlungen, Gefühle und Verhaltensweisen nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern kulturellen Prägungen und anderem mehr unterliegen. Darum geht es in Richters Text. So dass die Sehnsucht seiner Figur nicht nur auf das unerreichbare Du zielt, sondern auch darauf, mit diesem Pendeln zwischen Authentischem und Reproduziertem leben zu können. Bruchlos brüchige Lebensführung, sozusagen.

Es gelingt Liebezeit, in beiden Sphären zu agieren, ohne aus der Figur zu fallen. Ab und zu rollt ein Zug vorbei, was atmosphärisch passt. Dazu ein paar geloopte Katzenschreie. Und wenn Liebezeit ruckt und zuckt, ist das nicht Selbstzweck. Wahrscheinlich schläft die Frau einfach in ihrem Hotelzimmer. Nur die Synapsen kommen nie zur Ruhe. Weil sie den Unterschied von Tag und Nacht nicht kennen.

Kein Hotelzimmer eigentlich, eher ein phantastischer Raum, drinnen „dieses Gefühl / als sei ich eingebrochen / in eine leere Fabrikhalle“. Der Raum schafft Platz für dies mäandernde, schäumende Text-Etwas. Zu Recht wird die Schlangenlederjacke aus Lynchs „Wild at Heart“ zitiert. “Alles was ich denke / habe ich irgendwo einmal irgendwen sagen gehört / und alles was ich fühle habe ich irgendwo irgendwen / einmal fühlen gesehen.“

„Love me Tender“ crooned Liebezeits nun brüchige Stimme gegen Ende. Zuvor hat sie einen Satz gesagt, einen sehnsüchtigen, melancholischen: „Links war deine Hälfte, rechts war meine Hälfte“, und, nach einer klitzkleinen Pause, „und in der Mitte haben wir uns manchmal getroffen.“ Da streckt man sich auf dem Bett aus und wünscht, er, nach dem sie sucht, möge endlich das Freizeichen in der Leitung beenden. Auch wenn man weiß, dass dies nie passieren wird. Schön wär’s trotzdem.

Tim Schomacker

23.-25.8., jeweils 20.30 Uhr